rein, mein.

8.48 uhr. jeden morgen um 8.48 muss ich das haus verlassen. meine morgenzigarette auf der loccia glüht noch in der hand.
k. und ich traben zur s-bahn, nebeneinander und grüßen die dorfbewohner, ich kenne sie inzwischen beim namen ohne jemals mit ihnen ein wort gewechselt zu haben: „ der fitze karl“ und andere gestalten, der regisseur hat sie gut plaziert und trainiert, jeden morgen die selben schauspielerischen gesten: der eine fegt die straße, die andere lehnt ihre bettwäsche aus dem fenster, wieder eine andere betreut die blumenkästen, jemand hastet mit aktenkoffer zum bahnhof…wir beide engumschlungen dürfen jeden morgen dabei zuschauen.

in der bahn falten wir unsere tages- oder wochenzeitung auseinander, ich mache k. komplimente und geschlechterspezifisch schnappe ich mir das feulliton, während k. sich für „technik und motor“ interessiert bzw. beruhigenderweise für den wirtschaftsteil, dann muss ich mir das nicht geben.

am westbahnhof verlasse ich die zweisamkeit, bestelle mir einen milchkaffee im becher, atme das brot, die brötchen, frischgebacken, milchkaffee kommt, ist beinahe zu heiß beim anfassen, ich setze mich hin, zehn minuten habe ich noch, trinke den schaum zuerst, rauche, freue mich am leben, ein paar medienabziehbilder am tisch daneben, irgendwas zwischen britney spears und cristina aguliera wird da versucht zu imitieren, freue mich an meinen eigenen gedanken.

bad homburg wartet und mein büro, mein kellerloch, mein archiv, meine manuelle tätigkeit, jochen aus dem pott, bei dem ich in der mittagspause mails checken kann, jockelchen mit seiner magenkranken, lustigen frau zu hause, kerstin, die alleinerziehende mutter, die sich für double-bind-kommunikation interessiert, herr sack, der verantwortungsbewußte, der erdige herr bär, seit jahrzehnten kinderlos verheiratet und ebenfalls aus der wetterau kommend, die junge sekretärin sabrina, deren unterwäsche immer ein bisschen rausguckt, wenn man genau hinguckt und zu guter letzt herr schmidt, der einzige bild-zeitungsleser im büro, der fürs kaffeekochen und aktenschleppen eingestellt wurde und der mich regelmäßig unten besucht zwischen scanner, akten von 1982-1992, meinen tranceanfällen, scherenschnittversuchen, essen in tupperware, besen und schaufel und zigarettenpausen.

beim arbeiten lasse ich meinen gedanken freien lauf, schiebe worte im kopf hin und her und dann habe ich endlich was und bin stolz druff:

seit jahren schon

ich bin
dein

spätzünder

ehrgeizig
bringe ich
licht
in die nacht

die absätze meiner schuhe
auf dem teppich
vor dem bett:
dein sprungbrett

und dem kalender
reißen
wir die blütenblätter
aus-

eins nach dem anderen

seit jahren schon.

mittagspause im garten des büros. theo und jochen reden über alternative energienutzung und dass atomkraft negativer- und absurderweise wieder so „gehypt“ wird, sogar der neutral- bis einigermaßen linke „stern“ hatte sie als propaganda anscheinend wieder auf dem titelblatt. ist mir informationssüchtigen komischerweise entgangen. die beiden schütteln den kopf, ich gebe mein „achziger-jahre-atomkraft-nein-danke-friedensbewegung-wissen“ zum besten.
dann geht es um china, um den dortigen boom und welche globale katastrophe es auslösen würde/wird, hätte jeder chinese (lust auf) ein auto angesichts des endlichen ölvorrats und theo sagt, dass das die ökolinken vor zwanzig jahren schon prophezeit und davor gewarnt hatten.
herr wittig, unser chef, ist in urlaub. keine ahnung, was der dazu gesagt hätte, er ist bei den freien wählern aktiv.

um 15.26 verlasse ich das büro und fahre nach höchst zum arzt. AKTensortTIERen ade!

werde heute ausnahmsweise mal nicht meine schwester in ihrem süßen fachwerkhäuschen besuchen, keine „amerikanischen-verhältnisse“-diskussionen bei gutem essen zwischen verwinkelten gässchen und türkischer friseuse gegenüber, die immer einen termin frei hat, führen, sondern freue mich auf den restlichen tag, an der hfg sind diplompräsentationen, bin lose mit a. verbredet, freue mich auf t.

fahre zuerst an die konstablerwache, sehe k. vor dem bildschirm, atme durch über den dächern von frankfurt, bin etwas am rotieren, alex hat mir gemailt, sie will mich unbedingt noch vor ihrem liebesurlaub sehen, ich soll nach der hfg zu ihr nach brehmthal fahren, sie ist froh eine solche freundin zu haben wie mich, hat sie betont und in mir festigt sich die zuversicht: niemand von uns wird untergehen.
k. ist beschäftigt, ich schlendere noch ein bisschen über die zeil, an straßenmusikern vorbei, durch die billigläden, schlürfe die schaufenster, beobachte das treiben, schminke mich für mau irgendwo in einer kosmetikabteilung und will was erleben, was explizit frankfurterisches, das hatte ich so versprochen und merke bei mir, die hast ist weg, ich bin angekommen im rhein-main-gebiet, rein, mein, mein, rein, dieses harte frankfurt hier, in dem das geld fließt und damit eine dynamik entfesselt, weil man so extrem auf sich selber zurückgeworfen wird in dieser zu entdeckenden, relativ spröden stadt, die sich mir immer wieder so gespalten präsentiert: banker-szene, kunst-szene, anti-fa-szene, junkie-szene. keiner will so richtig was mit dem anderen zu tun haben. schade. in hamburg war das durchmischter.
sollen sich die verhungernden in berlin vor hipness auf die füße treten, ausser atem sein vor „sich-grüßen-müssen“, weil sie sich als flüchtlingskinder schon so lange kennen!
ich bleibe.

fahre dann nach offenbach. treffe als erstes auf heiner blum. wir unterhalten uns über durs grünbein, den heiner noch aus dessen hageren zeiten am prenzlauer berg kennt und der ja inzwischen total „established“ ist und dann kommt ein potentiell establishter hinzu zu unserem aufstrebendem gespräch, daniel h., der jetzt das nächste red-hot-chili-peppers-cover macht und ich denke bei mir…wie komisch ist die zeit von 20 bis 30, wo dinge plötzlich so erreichbar werden und damit ihre aufregung verlieren.
erinnere mich daran, dass ´94 sebi mal die chilli-peppers in l. a. interviewt hat als titel-story und ich so stolz darauf war, dass er mir den artikel gewidmet hatte.
„alles war schon mal da, nur du bist neu“ hatte er für mich drübergeschrieben und jetzt erst scheine ich zu verstehen, was er damit meinte. man schlägt einen weg ein (komische formulierung übrigens, den weg einschlagen, man kann vielleicht eine tür einschlagen, aber den weg?) und irgendwann zahlt sich die anstrengung aus, das viele zweifeln, das andocken mit anderen oder auch die abgrenzung. nun gut, red hot chilli peppers als referenz, da wird es einfacher, eine familie zu ernähren.

lasse heiner hinter mir, kaufe mir ein bier, über umwegen komme ich schließlich zum top-sommer von t., vermisse a. und trinke zu chris issak erdbeerbowle, schaue mir den katalog an, denke mir, der gehört doch zumindest in den ersten vier seiten der „brigitte“ promotet und mir fällt ein, dass die deutsche marie-claire, allegra und sogar „the face“ pleite gegangen sind.
konsumwissenterror. ich lese den aufrüstungsscheiß schon lange nicht mehr.

umarmungen hin, umarmungen her, (habe mich sehr für t.´s diplomerfolg gefreut) ich schnappe meine tasche und nehme den letzten zug in den taunus. wie schön ist es doch, wenn man sich schon so lange begleitet.
einen tag urlaub. einen tag unter frauen, gut frühstücken, gemeinsam nägel lackieren, sich über alte fotoalben beugen und sich anlachen: wir sind nicht die türken von morgen , wir sind die modernen waschweiber von heute! die emotionale intelligenz von frauen gründet sich darin, dass sie meistens keine tabu-themen voreinander haben.
alex holt mich mitten in der dunklen nacht mit ihrem auto vom bahnhof ab.
gut wieder hier zu sein. rein-mein.

mein: rein. oder auch: willkommen zu hause, es war ´ne lange, lange reise.

5 Responses to “rein, mein.”

  1. chris Says:

    Hallo,
    bin ganz baff was Du wieder alles geschrieben hast die letzten Tage.
    Ich hab das alles mit Freude gelesen.



    Mit Beginn des Herbsts bekomme ich – das ist komisch – von Jahr zu Jahr stärker,
    automatisch Frühlingsgefühle.
    (Kennt das jemand?)

  2. Julia Says:

    frühlingsgefühle sind doch zu jeder jahreszeit gut.
    j.

  3. Michael Says:

    Julia,

    wir reden doch nie über “amerikanische Verhältnisse”.
    Apropos - schau dir das mal an: http://www.walken2008.com/

    Gruß aus Höchst

  4. Julia Says:

    natürlich haben wir schon über sennett und amerika diskutiert, über “hire und fire” und das ewige “hi” und rumgeschleime.
    gefällt dir der text denn?

    j.

  5. Hallo, {vielen dank|danke} für die Info.. Ich habe auch einen {Website|Blog} aber leider gibt es da keine Antwortmöglichkeit.. Gruß {Stefan|Jörg|Erik|Michael|Sandra|Michi} Says:

    sehr gute seite