Wie sich zwei grosse Autorinnen finden und dann wieder verlieren// Deutschlandfunk Kultur

Ingeborg Bachmann und Ilse Aichinger waren die weiblichen Stars der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur. Nun liegt erstmals der Briefwechsel der beiden vor. Eindringlich legt er ihre unterschiedlichen Lebensentwürfe in den 1950er-Jahren offen.

Gleich der erste Brief, den Ilse Aichinger im Mai 1950 an ihre Freundin schreibt, gibt einen vertrauten, liebevollen Ton vor. Es ist ihre Einladung nach Nußdorf an den Attersee zu kommen, für ein paar Tage: „Bring Dein Buch mit!“

Anfang der 50er-Jahre schreibt die junge Philosophiestudentin Bachmann gerade an ihrem ersten Romanmanuskript „Stadt ohne Namen“, hat ein paar Gedichte und Erzählungen in Zeitschriften veröffentlicht und ist mit Hörspielarbeit überfrachtet. Die fünf Jahre ältere Ilse Aichinger hat in dieser Zeit bereits ihren Roman „Die größere Hoffnung“ publiziert, der bis heute als einer der wichtigsten Nachkriegsbücher gilt. „Komm wirklich, Ingelein – Deine Ilse.“

Zwei Autorinnen von unterschiedlicher Herkunft

Eine gesuchte Nähe von Anfang an. Dabei sind die Österreicherinnen, die sich im Nachkriegswien im Literatenkreis um Hans Weigel kennengelernt haben, von so unterschiedlicher Herkunft, mit grundlegend verschiedenen Erfahrungen. Die eine ist die Tochter eines Nazis, Bachmanns Vater war schon Anfang der 30er-Jahre Mitglied der NSDAP. Die andere eine Jüdin, die mit ihrer Mutter in einem winzigen Versteck in Wien überlebte und Verwandte im Holocaust verlor.

Auffällig an diesen Briefen sind daher die Leerstellen, von Anfang an, dieses Thema wird kaum berührt. Nur einmal schwingt etwas mit, als Aichinger sich ihre Freundin gedanklich vor Augen führt: „wo Du jetzt liegst oder bist, dann seh ich das Bild Deines Vaters in k. u. k.-Uniform vor mir“.

Trotzdem schmiegen sie sich in ihren Briefen aneinander. Die eine, weil sie die Kraft hat, trotz und wegen ihrer erschütternden Erfahrungen, die andere, weil sie die Einsamkeit früh als Gefahr für sich ansah. „Sei versichert, dass Du immer dazugehörst“, schreibt ihr Aichinger. In ihrer selbsternannten Wahlfamilie nennt sie Bachmann ihre „Zwillingsschwester“ und auch ihre Mutter Berta Aichinger unterschreibt mit „Busserln, Ingebienchen, Ihre Mutti (Ersatz)“.

Zusammen gegen männlich dominierten Literaturbetrieb

Im tief vertrauten familiären Grundton geht es in den folgenden 74 Briefen von Aichinger und den 30 Briefen von Bachmann um Alltagsdinge, Geldsorgen, das Dauerthema Wohnungssuche und um turbulente Dichterbesuche. Interessant, wie die beiden Österreicherinnen im männlich dominierten Literaturbetrieb der 50 Jahre zusammenhalten. Auf den Tagungen der Gruppe 47 ist Bachmann, so schreibt sie 1952 an ihre Eltern, „außer Ilse die einzige weibliche Person und natürlich die Jüngste.“

Aber während Aichinger den „Wirbel und den Betrieb“ für gefährlich hält, sobald er „keine Zeit mehr lässt Heimweh zu haben“, stürzt sich Bachmann buchstäblich in den Literaturbetrieb. Nach ihrem Preis der Gruppe 47, ihrem Titel-Porträt auf dem „Spiegel“-Cover beginnt ihr fast kometenhafter Aufstieg.

Neue Dokumente aus Bachmanns Nachlass

Aufschlussreich und neu lesen sich die Briefe vor allem darin, wie nackt sie die unterschiedlichen Lebensentwürfe der Autorinnen offenlegen. Auch deshalb, weil Herausgeberin und Herausgeber weitere neue Dokumente aus dem privaten Bachmann-Nachlass heranziehen. Während sich Aichinger nach der Heirat mit Günter Eich für die Familie entscheidet, sucht Bachmann ihren Lebensweg einer selbstständigen, schreibenden Frau.

In einen Brief an ihre Eltern im Oktober 1959 fragt sie, ob sie eine Heirat und Kinder für sie richtig fänden, denn sie zähle sich, auch was ihren „Beruf“ angehe, mehr „zu den Männern“. Doch als Aichinger ihr die Geburt ihres ersten Kindes mitteilt, bekennt Bachmann, fast verzweifelt, ihre Sehnsucht nach Familie und dieser „kleinen Krebsigkeit“:

„… manchmal könnt ich auch heulen, weil ich das Gefühl hab, dass ich nie eins haben werd‘ und weil am Horizont absolut kein Licht auftaucht – dass es anders werden könnte mit dem Alleinsein und seiner Fatalität“.

Briefwechsel endet mit Bachmanns Beziehung zu Frisch

Die Lebenswege der einst Vertrauten entwickeln sich weit auseinander. Mit Beginn der Liebesbeziehung zu Max Frisch, die für Bachmann in einer Katastrophe enden wird, werden die Briefe weniger. 1962 kommt der Briefwechsel völlig zum Erliegen. Sie hätte gern noch mehr geschrieben, so Bachmann an Aichinger, „aber ich muss an die Maschine!“ Eines offenbart dieser Briefwechsel aufs Neue: das Dilemma einer weiblichen Schriftstellerexistenz im Korsett der 50er-Jahre.

Ingeborg Bachmann, Ilse Aichinger, Günter Eich: „halten wir einander fest und halten wir alles fest!“
Briefe. Hrsg. von Irene Fußl und Roland Berbig
Salzburger Bachmann-Edition
Suhrkamp Verlag, Berlin 2021
347 Seiten, 40 Euro

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