Monatsarchiv für March 2015

ROTLICHT IM STUDIO 294

Thursday, den 26. March 2015

Undercover #3: Rotlicht im Studio 294

Der Leib scheint wie das Gedicht zu sein, sehr einsam. Semantisch betrachtet entstehen beide erst in der Gemeinschaft, werden sich ihrer gewahr in den Augen und unter den Fingern der andern . Ob käuflich oder freiwillig – Ausagieren macht Spaß.
Fürs Gedicht reicht schon die Liebe zur Farbe Rot, um zum Kreis der Verdächtigen zu gehören, der heute Abend abgeschritten werden soll. UNDERCOVER DIE DRITTE reicht von Rot wie Ampelschaltung bis Rot wie Rotlichtviertel. Dass womöglich allem, was wir tun, ein grundsätzlicher Lustfaktor innewohnt, wäre ein kleinster gemeinsamer Nenner, den zu finden dieser Abend Gelegenheit gibt.
Vier Dichter*Innen lesen nicht ihre eigenen Gedichte und genau deswegen darf das Publikum streiten, welches denn nun das beste ist. Undercover ist eine Publikumslesung bei dem das Publikum sich um das Gedicht bemüht. Welches Gedicht möchten Sie im Rampen- oder Rotlicht?
Gefördert wird die Veranstaltung vom Kulturamt Frankfurt. Wir sind nicht förderungsbedürftig, wir sind förderungswürdig!

Lesung:
Magdalena Jagelke, Adrian Kasnitz, Julia Mantel und Paul-Henri Campbell

Moderation:
Katharina Mantel & Martin Piekar

Donnerstag, 16. April 2015, ab 20.00 h

Eintritt 3 €

Studio294
Gutleutstraße 294
60327 Frankfurt am Main

pms

Thursday, den 12. March 2015

alles fällt
so schwer

nirgendwo
ein meer

das kissen umarmt.

Master mit 1,6///////Leben mit Hartz IV (Artikel aus der SZ)

Sunday, den 1. March 2015

Ist Armut erblich? Eine junge Leserin berichtet, wie Hartz IV sie seit ihrer Kindheit nicht loslässt - trotz Studiums, guter Noten und Arbeit.

Dieser Beitrag im Blog unseres Projekts Die Recherche, das sich derzeit den Themen Arbeit und Ausbeutung widmet, stammt von einer jungen Leserin. Jasna, die nicht unter ihrem vollen Namen veröffentlichen möchte, berichtet von ihren Erfahrungen mit Armut und Hartz IV, die sie seit der Kindheit begleiten - trotz Einser-Abschluss, Berufserfahrung und einer Auszeichnung:

Seit meinen Großeltern bin ich die Erste, die einen Studienabschluss hat und die Erste in meiner Familie, die ihn in Deutschland gemacht hat. Meinen Master in Germanistik habe ich mit 1,6 abgeschlossen, mit 24 Jahren. Das war vor fast einem Jahr. Aber ich finde keine Festanstellung und bekomme seit Herbst Hartz IV.

Seit mehr als einem Jahr schreibe ich Bewerbungen im Bereich Öffentlichkeitsarbeit, als Social-Media-Redakteurin, politische Referentin und Lektorin. Bisher bekam ich immer nur Absagen. Ein einziges Mal hatte ich ein Vorstellungsgespräch und das auch nur für ein Praktikum. Alle Absagen sind immer nett formuliert, meine Bewerbungen gefallen den Leuten in der Personalabteilung anscheinend, aber sie laden mich nicht ein.

Manchmal heißt es auch, dass ich noch zu wenig Arbeitserfahrung hätte und mich auf Praktikumsstellen bewerben soll. Da ich mein Studium bereits abgeschlossen habe, müsste mir seit Anfang des Jahres der Mindestlohn gezahlt werden. Aber das wollen die Firmen natürlich vermeiden und stellen fast nur noch Studierende ein, die ein Pflichtpraktikum absolvieren müssen, bei dem der Mindestlohn nicht anfällt.

Ein Pflichtpraktikum war in meinem Studiengang aber nicht vorgesehen. Und weil ich nebenher ohnehin immer arbeiten musste, um meinen Lebensunterhalt zu sichern, konnte ich meine Arbeitskraft auch nicht länger als 14 Tage kostenlos zur Verfügung zu stellen. Branchenbezogene Berufserfahrung während des Studiums ist oft ein Privileg für Studenten, die finanziell von ihren Eltern unterstützt werden, die nicht arbeiten oder auf die Regelstudienzeit achten müssen. Deren Überschreitung bedeutet, kein Bafög mehr zu bekommen.

Wie Hartz IV traumatisiert

Ich habe Zweifel, ob meine Bewerbungen auf richtige Jobs erfolglos sind, weil mir Berufserfahrung fehlt. Ich war ehrenamtlich im politischen Bereich tätig, ich habe immer neben dem Studium gearbeitet. Ich blogge regelmäßig, um aus dem Schreiben nicht rauszukommen, und einer meiner Texte wurde bereits in einem Buch veröffentlicht. Und auch jetzt arbeite ich ja - ich kann bloß nicht davon leben.

Das ist nicht meine erste Erfahrung mit Armut: Ich stamme aus einer Hartz-IV-Familie, meine Eltern müssen aufstocken, um über die Runden zu kommen, und waren in meiner Kindheit viele Jahre arbeitslos. Die Angst, nach dem Studium in Hartz IV zu fallen, war bei mir größer als bei anderen. Hartz IV traumatisiert. Experten glauben, dass Armut vererbt wird - was, wenn sie recht haben?

Als ich klein war, bekam ich zu hören, dass mir mit Gymnasiallaufbahn und einem Studium alle Türen offen stehen würden. Eine gute Ausbildung sei der sicherste Weg in einen guten Job. Rückblickend erscheint mir die Idee geradezu absurd, schließlich wuchs ich mit einem Vater auf, der drei Berufsausbildungen hatte und trotzdem irgendwann keine Anstellung mehr bekam.

In der Schule wurde ich von meinen Mitschülern gequält, weil ich aus einer armen Familie komme. Noch heute lächeln die meisten Menschen seltsam, wenn ich erzähle, dass ich aufstocken muss. “Ah, das ist so eine, die wahrscheinlich nichts gelernt hat”, denken sich wohl viele. Selbst wenn ich nichts gelernt hätte, stünde mir ein lebenswertes Auskommen zu. Aber ich habe studiert und umfangreiche Erfahrungen gesammelt, die auch für Personalabteilungen interessant sein könnten.

Zum Leben zu wenig

Stattdessen reise ich durch ganz Deutschland und mittlerweise auch ins Ausland, um für miese Honorare Vorträge über feministische Gesellschaftspolitik, Aktivismus und Gewalt im Netz zu halten. Ich darf neben Hartz IV 100 Euro pro Monat dazuverdienen, von jedem weiteren Euro darf ich 20 Prozent behalten. Nach zwei Jahren Vortragserfahrung bekomme ich langsam ein Gefühl dafür, was meine Arbeit wert ist. Ich korrigiere meine Honorare vorsichtig nach oben, um mich nicht unter Wert zu verkaufen und anderen nicht den Markt kaputt zu machen.

Aber ich verdiene trotzdem zu wenig, um davon leben zu können, und muss am Ende nur mehr ans Jobcenter abgeben. Wenn ich dann am Wochenende zur Hochzeit einer Freundin am anderen Ende Deutschlands oder über die Weihnachtstage zu meinen Eltern fahren möchte, muss ich einen Antrag stellen und mich, sobald ich zurück bin, persönlich beim Jobcenter melden. Als “Kundin” dort stehen mir nur 30 Tage “Ortsabwesenheit” im Jahr zu - Wochenenden und Feiertage eingeschlossen.

Mit den 100 Euro, die ich monatlich dazuverdienen darf, zahle ich den Teil meiner Miete, der aus bürokratischen Gründen nicht komplett vom Jobcenter übernommen wird. Da ist selten Geld übrig, um nach einem Vortrag mit den Auftraggebern noch was trinken zu gehen und dabei vielleicht den nächsten Auftrag zu bekommen.

Lernen, wie man einen Computer einschaltet

Ich kann verstehen, wenn Menschen sich vom Jobcenter ungerecht behandelt oder alleingelassen fühlen. Als ich meinen ersten Antrag nach SGB II, also auf Hartz IV, stellte, wurde ich direkt in einen zweitägigen Bewerbungskurs gesteckt: Wir sollten lernen, wie die Jobsuchmaschine der Arbeitsagentur funktioniert. Die funktioniert wie jede andere Jobsuchmaschine auch und wer sich regelmäßig im Internet bewegt, kann eigentlich wenig falsch machen.

Ich bin eine der Initiatorinnen des Hashtags #aufschrei, der mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet wurde; ich leite Social-Media-Workshops und diskutiere auf Podien unter anderem über Onlinekommunikation. Meine Vorerfahrungen wurden aber nicht berücksichtigt bei der Auswahl des Kurses, den zu besuchen ich verpflichtet war. Also starrte ich zwei Tage lang auf einen Bildschirm, während der Großteil der Kursteilnehmer lernte, wie der Computer eingeschaltet wurde.

Ich habe in einem Alter mein Studium abgeschlossen, in dem andere nicht wissen, was sie überhaupt studieren sollen. In dem wieder andere schon die Hände von Mamis Vorgesetzten geschüttelt haben oder mit wichtigen Leuten Kaffee trinken gehen, weil sie schon als Kinder auf deren Schoß gesessen haben. Ich bin kein Akademikerkind und so fehlt mir das Wichtigste, um erfolgreich zu sein: gute Beziehungen.

Der Gedanke, dass wir alles schaffen können, wenn wir uns nur anstrengen, ist ein neokapitalistisches Märchen. Er blendet aus, dass Menschen unterschiedliche Startpositionen haben und welche Diskriminierungsstrukturen es gibt.

Um im Berufsleben erfolgreich zu sein, spielen informelle Kriterien eine große Rolle: Wer sich souverän in akademischen Kreisen bewegt, kommt besser an als Menschen, die dort neu sind. Was mir und anderen in ähnlichen Situationen fehlt, ist nicht der Wille - es sind Netzwerke, Wissen über soziale Codes und positive Erfahrungen. Ich habe keine Ahnung, wie andere berufliche Kontakte knüpfen und wie ich mich auf Veranstaltungen verhalten soll, auf denen Leute mit Sektglas in der Hand herumstehen. Wer aus einer nicht akademischen Familie den Weg an die Uni fand, kennt das Gefühl, nicht dazuzugehören.

www.sueddeutsche.de/wirtschaft/die-recherche-zu-arbeit-master-mit-leben-mit-hartz-iv-1.2365940