Monatsarchiv für January 2016

Wenn ein Paar sein Glück bei Verbrechern findet

Friday, den 29. January 2016

Monika und Henry Toedt waren wohlhabende Leute in Hamburg. Dann brach alles zusammen. Nun leben sie von Hartz IV und schreiben Briefe an Verbrecher in aller Welt. Und sind glücklicher als je zuvor.

Von Eva Sudholt

Das Ehepaar Monika und Henry Toedt pflegt weltweit Brieffreundschaften mit Gefangenen

Sebastian hat in der Silvesternacht seine Frau umgebracht. Er hatte zu viel getrunken. Er hatte Streit gesucht und gefunden. Dann hatte er sich das Küchenmesser gegriffen, das auf der Anrichte lag, und zugestochen, bis sie zu Boden ging. Sebastian wurde wegen Totschlags verurteilt, er sitzt seit fünf Jahren in der JVA Bamberg. Zurück blieben vier kleine Kinder.

Jennifer sitzt wegen Drogen in Texas. Sie spart für einen Trip nach Europa. Sie will die Heimat ihrer Freunde sehen, wenn sie bald freikommt. Bayern, die Alpen, vielleicht noch etwas Deutsch lernen vorher.

Heinrich lebt in der JVA Straubing. Er war Lehrer für Deutsch und Latein. Er vertont moderne Gedichte und hört Bayern 4 Klassik. Heinrich hat gerade seinen Röhrenfernseher gegen einen Flatscreen eingetauscht, man kann sich nicht ewig verschließen, wenn alles digital wird da draußen. Vor seinem Fenster will er im Frühjahr Krokusse pflanzen.

Eine grausame Tat

Seine Briefe schreibt er auf einer alten Reiseschreibmaschine. Liebe Moni, lieber Henry, blüht es bei Euch auch auf dem Balkon? Er wünscht noch einen weiterhin recht milden Winter, einen gemütlich-schmackhaften Abend und verbleibt mit ganz lieben Grüßen, Euer Heinrich.

Heinrich schreibt vom neuen DVD-Spieler, den er sich bei “Saturn” bestellt hat. Und vom Sonnenlicht, das so mild in sein Zimmer fällt. Nur was ihn hierhergebracht hat, darüber kein Wort. Moni und Henry fragen nicht nach. Man ist ja nicht auf der Welt, um über andere Menschen zu richten. Sie wissen, seine Taten müssen grausam gewesen sein. Heinrich hat lebenslänglich mit Sicherungsverwahrung. Wahrscheinlich ein Sexualverbrechen, wahrscheinlich nicht nur eines.

Manchmal beklagt Heinrich sein Schicksal, Gott habe ihn verlassen, niemand denke an ihn. Seine Frau ist gestorben, man sagt sich, aus Kummer.

Wir sind einfache Leute. Wir haben uns beide, und das ist viel mehr wert als ein Leben in Reichtum

Nur Moni und Henry sind immer noch da. Als sie ihn einmal besuchten, sechs Stunden mit der Bimmelbahn hin, sechs Stunden wieder zurück, für schnelle Züge reicht kein Hartz IV, da war Heinrich geradezu aufgekratzt, geplappert hat er wie ein Wasserfall und dann auch noch Volkslieder geschmettert.

“Herr Heinrich sitzt am Vogelherd …”, hilf mir mal, Moni, wie geht’s noch mal weiter?

“Ganz froh und wohlgemut.”

Wie schafft man es, von solchen Taten abzusehen? Nicht immer den Mörder, das Monster zu sehen? Henry sagt: “Man richtet den Blick auf den Menschen dahinter. Und der steht dort, wo wir selbst plötzlich standen. Am Rande der Gesellschaft.”

Vor ein paar Jahren haben Henry und Monika Toedt, beide 64, fast alles verloren, erst ihr Vermögen, dann alle Freunde. Und schließlich den einzigen Sohn. Nach einem Jahr Gram sagten sie: Entweder war’s das jetzt mit dem Leben oder wir müssen ganz neu anfangen.

Ihr Neuanfang steckt in einem Schulkinder-Ordner, der kaum noch zugeht. Ein Labrador-Baby im Gras vorne drauf, innen drin stecken Briefe von Serientätern. Von Drogenkurieren und Internetbetrügern. Von Kleinkriminellen und Schwerverbrechern. Von Heinrich und Jennifer und von Sebastian. Oder der armen Seele Beg Batiadar, der im “Bangkok Hilton” wohnt. So nennen sie dort den berüchtigten Knast.

Batiadar hat Drogen über Nepal nach Thailand geschmuggelt, um seiner Familie zu helfen. Darauf steht lebenslang schon bei kleinen Mengen, und lebenslang heißt dort hundert Jahre. Begs Handschrift ist ordentlich-mädchenhaft, er beginnt mit den Worten “My beloved Mom and Dad”, auch wenn er Henry und Moni noch niemals gesehen hat. Er trauert zurzeit um ein kleines Kaninchen, das er in seiner Zelle halten durfte. Als er vom Hofgang zurückkam, lag es tot auf der Pritsche.

Die meisten und längsten Briefe sind die von Shawna. Sie wurde in Phoenix, Arizona zum Tode verurteilt. Und brachte neuen Sinn in ihr Leben.

KEIN FERNSEHE, KEIN INTERNET

Dieses Leben findet in zwei kleinen Zimmern statt, im Mietshaus einer früheren Bundeswehrsiedlung. Moni und Henry gehen nur selten nach draußen, die Nachbarn kennen sie kaum, nur den einen von unten, der ein bisschen verrückt ist, so wie Markus, der Junkie, der ihnen seit langer Zeit schreibt. Markus lebt seit 20 Jahren in der forensischen Abteilung, er hat sich das halbe Hirn weggeschnupft und war in verschiedene Dinger verstrickt. Er hätte gerne Frau und Familie, wahrscheinlich wird daraus nie etwas werden.

Toedts haben kein Fernsehen, kein Internet. Nur ein altes Nokia-Handy für die wichtigsten Telefonate. Langeweile? Kennen sie nicht. Es gibt doch genug zu erzählen, auch nach 40 Jahren Ehe. Den Außenputz ihrer Siedlung verschandeln große dunkle Flecken, als seien aus den Fenstern mal Flammen geschlagen. Die Hausverwaltung sagt, die Mieter lüften zu schlecht und zu wenig.

Aber da kennt Henry sich aus, er ist ja vom Fach: Die Fassaden tragen Putz der 50er-Jahre, ein billiges Mörtel-Kunststoffgemisch, in dem sich die ganze Feuchtigkeit staut. Innen machen sich an Decken und Wänden schon Risse bemerkbar. Aber Henry sagt auch: “Wir sind einfache Leute. Wir achten auf so was nicht mehr. Wir haben uns beide, und das ist viel mehr wert als ein Leben in Reichtum.”

Toedts hatten sich mit Anfang 20 kennengelernt. Er war nicht so der Disco-Typ und hatte eine Annonce geschaltet. Erst schrieben sie sich, dann verliebten sie sich, nach einem Jahr haben sie geheiratet. “Und es nicht einmal bereut. Du musst mir jetzt zustimmen, Moni.”

“Das weißt du doch, Henry.”

Toedts hatten zwei Firmen in Hamburg. Sie leben jetzt in Hammelburg in Franken

Moni und Henry kamen gemeinsam zu Wohlstand. Ein Haus im gehobenen Hamburger Umland. In der Stadt verkauften sie teure Immobilien, eine zweite Firma kümmerte sich um Finanzierung, Versicherung, das ganze Drumherum. Freie Wochenenden kannten sie nicht, es gab immer nur Arbeit. Von dem Geld kauften sie Autos. Und eine Wohnung am Meer, die meistens verwaist war. Kauften 4000 Bücher für die Bibliothek, auch wenn zum Lesen nie Zeit war.

Dann auf einmal übernahmen sie sich. Ein Hausbau lief aus dem Ruder. Dazu platzten zwei sichere Geschäfte. Und schon brach alles zusammen. Die Schecks gesperrt, die Wohnungen unter dem Hammer, die Autos wurden kleiner und weniger. Privatinsolvenz. Hartz IV. Die Leute im Dorf stellten das Grüßen ein. Freunde riefen nicht mehr an.

Kurz bevor alles den Bach runterging, bezahlten sie noch für die Hochzeit des Sohnes. Dann mussten sie ihm beichten, das war es nun leider, wir haben nichts mehr. Er hat sich nie mehr gemeldet seitdem. Ein Brief, in dem sie ihn um Entschuldigung bitten, ließ er bis heute unbeantwortet.

Manches haben sie verkauft, um ein paar Schulden zu bezahlen. Vieles haben sie verschenkt, das fühlte sich irgendwie sinnvoller an. Sie trafen Menschen, denen es viel schlechter ging als ihnen. Sie boten ihnen Gespräche an, Lebenshilfe nannten sie es. Die Menschen bezahlten mit Dankbarkeit, mit einem Glas Marmelade, selbst eingekocht, einer gab auch mal 20 Euro. Es war immer genug zu tun.

Von Hamburg nach Franken, der Kirche wegen

Von den 4000 Büchern blieb eine Dürer-Bibel über. Man kann ja mal reinschauen, auch wenn man nicht glaubt. Sie schlugen ohne Hinsehen das Buch der Könige auf. Elias liegt unterm Ginsterstrauch. Er sagt: Oh Herr, ich mag nicht mehr.

Moni dachte, vielleicht kann man ja mal in ein Kloster gehen. Vielleicht findet man da einen Weg. Sie zogen sich für zwei Wochen nach Ettal zurück. Sie beteten mit den Mönchen. Es war eine fremde, tiefe Ruhe in ihnen, die sie so schnell wie möglich wiederhaben wollten.

Sie traten aus der protestantischen Kirche aus. Und in die katholische ein. Doch im evangelischen Norden gab es keine Gemeinde für sie, kein Auto war mehr übrig, um in die nächste zu kommen. Sie mussten, wegen der Stütze, erst noch beim Amt nachfragen. Es sprach nichts dagegen, Toedts durften umziehen. Raus aus der Diaspora ihres neuen Glaubens. Seitdem wohnen sie in Hammelburg, einer kleinen fränkischen Stadt ganz im Norden von Bayern.

Sie sind hier bis heute nicht heimisch geworden. Der Pfarrer ist ihr einziger Freund. Wir tun uns nicht leicht mit fremden Menschen, sagen sie. Neue Freunde zu finden ist schwer, wenn man von den alten enttäuscht worden ist.

Ich liebe das Oktoberfest-Bild! Ihr habt schöne Mädchen in Deutschland. Doch keiner ist so schön wie Ihr

In der ersten Zeit in der Fremde ist Henry Bürgerbus gefahren, alte Menschen von den Dörfern abholen, zum Arzt und zum Einkaufen bringen und später wieder zurück. Dann dachten Toedts an Arbeit mit Kindern, doch der Pfarrer fragte, warum denn nicht mit Gefangenen, mit Menschen, die niemanden haben? Er hatte selbst ein Gefängnis betreut. Von dort kannte er Sebastian, der seine Frau im Suff erstochen hat und heute nicht mehr sagen kann, warum.

Über erste Kontakte in Bayern bauten sie ein kleines Netzwerk auf, das von Asien bis nach Amerika reicht. Henry schreibt von den Weinbergen, vom Nürnberger Christkindlesmarkt und von der politischen Lage in Deutschland. Er schreibt von ihrer Hochzeitsreise damals nach Paris und wie sie Glücksmünzen am Place de la Concorde in den Brunnen warfen. Er schreibt über ihr altes Leben in Wohlstand und wie viel schöner ihr neues ist.

Manchmal zitiert er Patti Smith in seinen Briefen: Warum soll ich mich mit fremden Menschen über nichts unterhalten?

Er schreibt vom neuen Job, den ihm das Arbeitsamt aufgebrummt hat. Er steht jetzt immer um halb fünf auf, um Brötchen auf die Dörfer zu bringen. Moni kocht ihm jeden Morgen Tee, und wenn er zurückkommt, frühstücken sie. Wenn ihre Briefe ins Ausland gehen, schreibt Henry sie auf Deutsch mit Bleistift vor und dann mit blauer Tinte auf Englisch. Moni malt mit Buntstiften die Blumen aufs Papier. Sie lernt jetzt auch ein bisschen Englisch. Vor allem für Shawna aus Phoenix, Arizona.

Henry schreibt: “Hello honey, dearest sister”, auch wenn sie sich mehr wie ein Tochter anfühlt. Gerichtsakten zeichnen einen verworrenen Tathergang nach. Shawna Forde arbeitete 2009 für einen privaten Sicherheitsdienst an der mexikanischen Grenze. Manchmal versorgte sie das FBI mit Infos über Gangs aus der Gegend, die sich zu Drogen- und Waffendeals trafen. Eines Tages stürmte eine Gruppe Bewaffneter ein Haus an der Grenze. Darin befanden sich ein Mann, eine Frau und ein kleines Mädchen. Die Gruppe eröffnete gleich das Feuer, Mann und Kind waren sofort tot.

Arbeitsteilung: Henry Toedt schreibt die Briefe, Monika malt Blumen dazu

Die überlebende Frau gab später an, Shawna Forde sei beteiligt gewesen, sie identifizierte sie auf einem Foto. Shawna sagt, sie sei nicht einmal in der Nähe gewesen. Wer die Männer waren, FBI, Gangmitglieder, alles ungeklärt. Nur Shawna Forde wurde zum Tode verurteilt. Sie teilte sich früher mal eine Zelle mit Debra Milke, die zu Unrecht verurteilt worden war, ihren Sohn ermordet zu haben. Sie kam 2013 nach 23 Jahren in der Todeszelle frei.

Shawna Forde sitzt heute in Einzelhaft. Ihre Kinder haben den Kontakt zu ihr abgebrochen. Briefe sind die einzige Brücke zur Außenwelt. Sie betrachtet das Foto, das ihr Moni und Henry aus München geschickt haben. Sie schreibt: “Ich liebe das Oktoberfest-Bild! Ihr habt schöne Mädchen in Deutschland. Doch keiner ist so schön wie Ihr.” Manchmal verstehen sie den Slang in ihren Briefen nicht. Dann muss Shawna erklären: LOL = Laut lachen. – OMG = Oh mein Gott!

Ein letzter Lebenstraum

Nächstes Jahr, wenn die Rente kommt, wird alles etwas leichter. Vielleicht werden sie wieder umziehen. Für ihren größten Wunsch wird das Geld wohl nie reichen. Henry und Moni würden gerne ihre Freundin Shawna besuchen, doch ein Flug nach Arizona ist teuer. Bis dahin werden sie weiter schreiben. Pünktlich alle zwei Wochen. Das gilt für alle Gefangenen gleich.

Manche von ihnen sind eifersüchtig, wenn sie erfahren, dass sie nicht die einzigen sind. Viele brechen den Kontakt später ab, sobald sie aus der Haft entlassen sind. Sie wollen ihre Vergangenheit und alles, was damit zusammenhängt, hinter sich lassen.

Henry und Moni Toedt können das ganz gut verstehen.

www.welt.de/vermischtes/article150682052/Wenn-ein-Paar-sein-Glueck-bei-Verbrechern-findet.html

SOCKEN// Winter 2016

Wednesday, den 13. January 2016

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socken//handstrick//80% schurwolle//grösse 38-40 & 42-44//25 euro

alle photos: nina werth

im januar zu beziehen über “designe, kleine”// wallstraße 26// frankfurt-sachsenhausen