Monatsarchiv für January 2017

Emanzipiert einsam

Thursday, den 26. January 2017

Friederike Gösweiners Roman „Traurige Freiheit“ thematisiert die prekären Lebensumstände der „Generation Praktikum“. Hannah, die 30-jährige Protagonistin, zieht für ein journalistisches Volontariat nach Berlin und jobbt dort als Kellnerin. Ihre neue Freiheit wird zu einem Fall in die Tiefe. Riccarda Gleichauf hat das Buch gelesen.

“Traurige Freiheit“ von Friederike Gösweiner hat kürzlich den Österreichischen Buchpreis in der Kategorie Shortlist Debüt bekommen. Es ist ein wichtiger Text, weil er ein Thema anspricht, das viel zu wenig im öffentlichen Diskurs wahrgenommen wird. Er geht um die Kinder der 1980er, die „Generation Praktikum“, die doch eigentlich alles hat, die sich nun wirklich nicht beklagen kann.

Vordergründig ist es vielleicht so, dass auch AkademikerInnen über kurz oder lang eine gutbezahlte Arbeit finden, wenn sie sich nur richtig anstrengen. Dabei ist Vorsicht geboten. Die Arbeitslosenzahlen in Deutschland sinken laut Statistiken zwar fleißig, aber sie sprechen nicht davon, welche Jobs arbeitslose JournalistInnen zum Beispiel irgendwann aus der Not heraus annehmen. Hannah aus „Traurige Freiheit“, kurz vor dem vollendeten 30. Lebensjahr, sucht sich den für Frauen typischen Notnagelberuf aus. Sie wird Kellnerin in einem Café. In die Stadt Berlin ist sie gezogen, weil ihr freiheitsverheißender Ruf, aber vor allem ein Volontariat bei einer Zeitung sie dorthin lockt. Sie muss sich dafür von ihrer großen Liebe, einem Arzt, trennen, weil dieser weniger emanzipiert ist als sie selbst. Jakob versteht nicht, warum seine Freundin sich nicht von ihm aushalten lassen will, sondern ihren eigenen beruflichen Weg gehen möchte.

Die permanente Erinnerung an den Ex-Freund macht die Freiheit zu einer traurigen Freiheit oder vielmehr zu einer traurigen Einsamkeit. Mit Freiheit hat dieser Zustand nichts mehr zu tun. Es geht um die Einsamkeit als abgrundtiefe, bodenlose Emotion.

Dabei könnte sie auch kreative Kräfte wecken oder wenigstens produktive Wut. Stattdessen versinkt die Protagonistin nach Beendigung des Volontariats und ohne Jobaussichten in Hoffnungslosigkeit und rationalisiert diesen Zustand, um ihn damit gleichzeitig zu bagatellisieren – ein typisches Verhalten für AkademikerInnen:

„Vielleicht fühlten alle diese Aussichtslosigkeit, die sie fühlte. Vielleicht war dieses Gefühl normal. Vielleicht war das einfach das Erwachsenenleben, immer schon gewesen, und sie waren nur in keiner Weise darauf vorbereitet worden.“

Man muss schon laut werden

Auf eine Sache wird man als Geisteswissenschaftlerin im Studium auf jeden Fall nicht vorbereitet. Auf die Tatsache, dass da draußen niemand exklusiv auf dich wartet, dass es eine Illusion ist, dass du nur Bewerbungen schreiben musst, und schon nehmen sie dich mit offenen Armen. Man muss schon laut werden, Aufmerksamkeit erregen, Vitamin B haben oder zumindest einen Shitstorm im Netz provozieren, um sichtbar zu werden. Auch das erkennt Hannah irgendwann, als sie von einem öffentlich bekannten Journalisten im Café angesprochen wird. Ihr ist es wichtig, diesem interessanten älteren Mann direkt zu zeigen, dass sie keine Kellnerin ist, sondern sich nur hinter diesem Beruf versteckt, sich an ihn klammert, weil ihr sonst keine Chance gegeben wird, sich zu zeigen:

„Ich habe Zeitgeschichte studiert, sagte Hannah, während sie an der Bar hantierte, und wunderte sich über sich selbst, dass sie es nötig fand, dem Mann sofort klarzumachen, dass sie nicht nur Kellnerin war, sondern Akademikerin.“

Der weitere Verlauf der Geschichte ist klar vorgezeichnet, weil ein Klischee bedient wird, in dem leider viel Wahres steckt. Sie will den fremden, mächtigen Journalisten, Herrn Stein, inhaltlich von sich überzeugen – er sucht eigentlich nur das Eine. Vielleicht möchte er auch mehr, genießt ihre unterhaltsame und kluge Gesellschaft als Sahnehäubchen obendrauf. Letzlich kommt Hannah zusammen im Gespräch mit ihrer einzigen Freundin Miriam aber zu dem Schluss, dass „er sich für sie interessierte, als Frau, nicht oder zumindest nicht nur als Kollegin.“

Was sie bisher von Herrn Stein gehalten hat, ist blauäugig gewesen und typisch für ihren Charakter, ihre Art, positiv über die Welt zu denken. Immer viel zu viel zu erhoffen, und letzlich passiv in eine Warteposition zu verfallen, die sie in eine abhängige Situation, vergleichbar mit der einer Gewächshauspflanze, bringt. Als bedürftiges „Pflänzchen“ braucht Hannah jemanden, der sie regelmäßig mit Wasser und Licht versorgt. Bleibt das aus, wird der Boden spröde, die Luft knapp, und die Blätter welken.

Als Herr Stein zu seiner Familie in die Sommerferien fährt, beginnt für Hannah endgültig der Boden zu schwanken, weil ihr einziger energiegeladener Halt in der Großstadt sich als Luftschloss, als ein unwirkliches Gebilde noch nicht erwachsen gewordener, schambehafteter Kleinmädchenträume entpuppt. Aufwachen, möchte man der Protagonistin zurufen, und sie heftig an den Schultern packen. Der ungebremste Fall in die Tiefe ist aber vorprogrammiert, und es ist eine Schwachstelle des Textes, dass gerade die surrealen Szenen weiterhin linear erzählt werden. Ein Bruch mit der Form hätte eine Vielstimmigkeit erzeugt, den gehäuften inhaltlichen Klischees (Berlin = Freiheit, Frau = Kellnerin, mächtiger Mann = mögliches Karrieresprungbrett) eine Tiefendimension verliehen, und die bekannten Motive damit semantisch infrage gestellt. Die Protagonistin wäre interessanter, weil charakterlich vielschichtiger geworden. Aber das ist Geschmackssache, und linear verlaufende Texte sind, man denke an Bodo Kirchhoff, der den Deutschen Buchpreis dieses Jahr gewonnen hat, in Mode, und ja auch irgendwie angenehm, weil gut verständlich.

Das dreißigste Jahr. Unweigerlich muss man an die gleichnamige Erzählung von Ingeborg Bachmann denken, an dieses verflixte Jahr, und an die Stimme am Ende, die sagt: „Steh auf und geh, es ist dir kein Knochen gebrochen“. Bei Friederike Gösweiners Protagonistin kommt sie von innen heraus und drängt darauf, sich wieder in Bewegung zu setzen:

„Zeit zu gehen, dachte Hannah“.

Es ist spannend nicht zu wissen, wohin.

faustkultur.de/index.php?article_id=2920&clang=0

Gut beobachteter, zeitloser Artikel aus dem Jahre 2014

Wednesday, den 25. January 2017

POP UND DEPRESSION- Gefühle des Ungenügens

Das klischierte Idealbild des Künstlers – kreativ, autonom, authentisch, aus der eigenen Qual schöpfend – ist in neoliberalen Zeiten zur Hauptinspiration der Ökonomie geworden. Mit dem Euphemismus Burn-out bezeichnete Depressionserkrankungen sind gesellschaftliche Normalität.

»A comedic genius, a real mensch, a sad clown«, schreibt das Time Magazine über Robin Williams, der sich im August das Leben nahm. Williams litt seit Jahrzehnten unter Depressionen. Bekannt war er als Komödienschauspieler, als Stand-up-Comedian war er aber interessanter: »I was once on a German talk show, and this woman said to me, ›Mr. Williams, why do you think there is not so much comedy in Germany?‹ And I said, ›Did you ever think you killed all the funny people?‹« Und über einen Rückfall in seine Alkoholsucht sagte er: »It’s trying to fill the hole. It’s fear, you’re kind of going, ›What am I doing in my career? … Where do you go next?‹«

Das Bild des tortured artist, des Künstlers, der Werke aus seinen seelischen Qualen erschafft, durchzieht die Kunst- und Popgeschichte, und Suizide wie der von Williams regen erneut zu Spekulationen über psychisches Leiden als Quelle von Kreativität an. Die Blogs, Kommentare und Nachrufe geben zu verstehen, dass Williams deshalb so lustig war, weil er so traurig war. Das Verhältnis könnte aber auch umgekehrt sein, vielleicht ist es der Zwang, kreativ zu sein, der deprimierend auf Künstler wirkt. Ist der Imperativ der Kreativität Quelle von Leiden, so betrifft uns das alle, denn Kreativität ist in westlichen Gesellschaften zum prägenden Prinzip von Lebensformen ebenso wie der ökonomischen Wertschöpfung geworden.

Das Versprechen der Kreativität

Interessanter als Ferndiagnosen über die psychische Konstitution von Künstlern ist der Zusammenhang von Kreativität und Erschöpfung jenseits individueller Biographien. Die Lebensführung von Künstlern, die als kreativ, autonom und authentisch gilt, ist zur Inspiration einer Ökonomie geworden, die mehr auf Selbstausbeutung als auf Fremdbestimmung setzt – zumindest in den wissensbasierten Branchen. Arbeit soll als Teil der Selbstverwirklichung begriffen werden, man soll glauben und glaubhaft machen, dass man um der Sache willen arbeitet, l’art pour l’art, und nicht etwa, um sich seinen Lebensunterhalt zu sichern. Ein Leben fernab routinisierten Alltags und versehen mit dem Versprechen, bei der Arbeit die Person zu sein, die man ›wirklich‹ ist – und nicht bloß eine Rolle auszufüllen –, ist weit über die Grenzen der Künstlermilieus hinaus zu einem Idealbild gelingenden Lebens geworden. Einer Arbeit nachzugehen, die mit der eigenen Person identisch ist, sich nicht verstellen zu müssen zwischen 9 und 17 Uhr, seine Arbeitszeiten selbst bestimmen zu können, nicht entfremdet zu sein – das Künstlerleben verspricht es, und unzählige Jobs tun es ebenfalls.

Dieses Versprechen ist der neue Geist des Kapitalismus, wie ihn Luc Boltanski und Ève Chiapello beschreiben. In ihm haben Unternehmen die Kapitalismuskritik der Sechziger- und Siebzigerjahre aufgenommen und daraus neue Managementstrategien entwickelt. Die Kritik an den fremdbestimmten Arbeitsformen des Taylorismus, die die Authentizität von Personen bedroht, wird als Künstlerkritik bezeichnet, weil die Künstlerexistenz seit dem 19. Jahrhundert von der Aufhebung der Trennung zwischen Arbeits- und Freizeit und der Einheit einer Arbeit und dem, der sie ausführt, geprägt war. Im von der Künstlerkritik inspirierten neuen Geist des Kapitalismus wird eine solche Existenz in Aussicht gestellt und die Forderung nach Selbstverwirklichung durch selbstbestimmte Arbeitszeiten und Wertschätzung für kreative Ideen scheinbar erfüllt. Die Ideale von Authentizität und Autonomie binden auch die vielen Freelancer an einen Lebensentwurf, der sie zwar arm macht, es ihnen aber ermöglicht, in Projekten zu arbeiten, mit denen sie sich identifizieren.

Die Serie Girls von Lena Dunham ist auch deshalb ein gelungenes Generationenportrait nach der Rezession, weil sie die Prekarität und Vulnerabilität einfängt, die mit dem Wunsch nach kreativer Selbstverwirklichung einhergeht. Die Mittzwanzigerin Hannah aus Brooklyn, die mit obsessive compulsive disorder (OCD) diagnostiziert ist, versteht sich als Schriftstellerin und kämpft immer wieder dagegen an, Jobs anzunehmen, die zwar ihren Unterhalt sichern, aber ihr Künstler-Selbst zu verschütten drohen. Ihre OCD-Medikamente nimmt sie nicht, weil sie sie zu schläfrig machen, um ihr e-book zu schreiben. Kokain dagegen nimmt sie, um genug Aufregendes zu erleben, das es wert wäre, literarisch verarbeitet zu werden. Hannah unterwirft ihre Lebensführung ihrem kreativen Selbstbild. Arbeit und Privates sind vollständig verschmolzen, denn sie versucht ihr Leben so zu leben, dass es als literarische Vorlage taugt.

Burn-out – ein exogenes Leiden

Tragisch sind solche Entgrenzungen von Arbeit und Freizeit da, wo nicht ein eigenes Buch der Zweck der Verausgabung ist, sondern die Kennzahlen der Abteilung. Die Eigenverantwortung, die vielen Mitarbeitern in Unternehmen zugestanden wird, ermöglicht zwar kreativen Spielraum, ist aber auch ein sehr effektives Steuerungsinstrument – denn wer keine festen Arbeitszeiten hat, aber das, was er tut, als seine Leidenschaft begreift, arbeitet mehr und nicht weniger. Hinzu kommt, dass Erfolg in den neuen Arbeitsformen nicht danach bemessen wird, ob eine vorher festgelegte Aufgabe bewältigt wurde, sondern danach, ob sie besser bewältigt wurde als durch die Konkurrenz. Das unternehmerische Selbst unserer Zeit leidet an der ständigen Angst, nicht ausreichend viel geleistet zu haben, weil die Umstände seines Erfolgs nicht planbar sind – ebenso wie bei Künstlern. Das Ineinandergreifen von Authentizitätsversprechen und Marktdruck führt dazu, dass den Menschen zwar Innovationsfähigkeit und Beweglichkeit abverlangt wird, die Selbstverwirklichungswünsche der meisten aber enttäuscht werden. Spätestens wenn Misserfolge eintreten und Anerkennung ausbleibt, bekommen sie das Gefühl, ihre wertvolle Subjektivität investiert zu haben, nicht aber damit belohnt zu werden, sich identisch mit sich selbst zu fühlen.

Von solchen Gefühlen berichten Burn-out-Patienten, die aufgrund umfassender körperlicher und emotionaler Erschöpfung krankgeschrieben werden. Was Burn-out neben der schieren Überanstrengung nämlich ausmacht, ist eine Enttäuschung, die nach Gratifikationskrisen bei denen einsetzt, die stark mit ihrer Arbeit identifiziert sind und sich deshalb ganz von ihr vereinnahmen lassen. Passend dazu wurde Burn-out zuerst im Sozialarbeitermilieu der Siebzigerjahre diagnostiziert. Wer ausbrennt, hat über längere Zeit versucht, seinen eigenen Ansprüchen und Idealen gerecht zu werden, und den Einsatz immer weiter erhöht, wenn sich die Bedingungen verschlechterten. In den Medien und Ratgebern wird Burnout als ein Leiden charakterisiert, das den Betroffenen einen hohen Einsatz bescheinigt, ihnen aber nicht als Makel anhaftet, denn schon ein schonender Ressourcenverbrauch löst vermeintlich das Problem. Burnout hat man – depressiv ist man.

Medizinisch ist Burn-out keine anerkannte Diagnose und wird ebenso behandelt wie eine Depression, dennoch stieg die Zahl der Krankheitstage aufgrund von Burn-out in den letzten zehn Jahren um das 18-fache. Was die breite Identifikation mit Burn-out gesellschaftsdiagnostisch interessant macht, ist, dass es ein psychisches Leiden bezeichnet, das als exogen betrachtet wird. Seit dem Siegeszug der Neurowissenschaften und der Entwicklung moderner Psychopharmaka ist es kaum noch möglich, die Ursachen für gefühltes Elend jenseits des Gehirns zu verorten – zum Beispiel in der Gesellschaft. Das Sprechen über Burn-out aber öffnet eine Tür für Kritik an den Zumutungen der kapitalistischen Gesellschaft der Gegenwart, wie viele Beiträge in dem Buch Leistung und Erschöpfung. Burn-out in der Wettbewerbsgesellschaft zeigen. Die Ursachen für Burn-out werden in der modernen Arbeitswelt, der Erfolgskultur, der Wettbewerbsgesellschaft und der beschleunigten Lebensführung der digitalisierten Moderne gesehen. Nicht in den Genen.

Gefühle des Ungenügens – eine Pathologie der Größe

Je stärker der Ruf nach Aktivität, schöpferischer Kreativität und eigenverantwortlicher Gestaltung, desto trauriger, erschöpfter und depressiver werden viele – paradoxerweise geht der Wunsch, nur seinen eigenen inneren Motiven zu folgen, sich nicht zu verstellen und nicht zu verbiegen, mit der Anforderung einher, einmalig und unverwechselbar zu sein und sich darin ständig zu verbessern. Es geht darum, eine außergewöhnliche Version seines eigenen Kernselbst zu entwickeln. Das Reaktionäre dieses Authentizitismus hat Diedrich Diederichsen in Polar beschrieben: »Erfinde Dich neu und sei Du selbst, also erfinde Dich haltlos und bodenlos neu und verkörpere das so, als wäre das immer schon Deine Natur gewesen! Oder noch schlimmer: Erfinde Dich nicht einmal haltlos, sondern den herrschenden Marktanforderungen entsprechend neu und benimm Dich so, ja glaube an die Wahrhaftigkeit, Authentizität und Traditionalität Deiner Erfindung! Identifiziere Dich!«

Alain Ehrenberg, Autor von Das erschöpfte Selbst, begreift die Depression als eine Müdigkeit, man selbst zu sein. Die Gesellschaft der Gegenwart ist weniger als frühere Gesellschaften durch starre Normen und Verbote charakterisiert und belohnt nicht mehr wie die Disziplinargesellschaft Konformität. Die sozialen Handlungsideale sind heute Autonomie und Eigenverantwortung. Nicht mehr die auf Schuldgefühlen basierende Neurose prägt psychisches Leiden, sondern die Depression, eine Krankheit der Verantwortlichkeit. »Die Depression«, so schreibt Ehrenberg in dem von Juliane Rebentisch und Christoph Menke herausgegebenen Band Kreation und Depression, »als deren Hauptmerkmal man einen Verlust an Selbstachtung ausmachen kann, ist eine Pathologie der Größe: Die deprimierte Person ist der Aufgabe der Selbstwerdung nicht gewachsen; sie zermürbt sie vielmehr. An die Stelle der alten bürgerlichen Schuld und des Kampfs der Befreiung von der Gesetzesmacht des Vaters ist nun die Angst getreten, man könnte möglicherweise seinen eigenen hohen Idealen nicht gerecht werden, wodurch ein Gefühl der Unfähigkeit, des Ungenügens entsteht.«

In den USA werden mehr als siebzig Prozent aller Suizide von weißen Männern mittleren Alters begangen, in dieser Hinsicht ist der Tod von Robin Williams also ein typischer Fall. In anderer Hinsicht war sein Leiden nicht paradigmatisch, denn Depressionen sind kein Wohlstandsleiden, das diejenigen erfasst, die keine materielle Not kennen: Personen mit niedrigem sozioökonomischem Status sind sogar noch häufiger depressiv. Gefühle des Ungenügens, der Angst, seine Optionen nicht zu nutzen und die eigenen Potenziale nicht auszuschöpfen, verbinden also die sozialen Klassen. Tröstlich ist es nicht.

Der Text von Greta Wagner, Mitherausgeberin des Buches »Leistung und Erschöpfung. Burn-out in der Wettbewerbsgesellschaft«, ist als Teil des Schwerpunkts Pop & Depression in SPEX °356 erschienen. Alle weiteren Beiträge zum Thema finden sich in der Printausgabe, die versandkostenfrei im SPEX-Shop erhältlich ist.

www.spex.de/2014/11/19/pop-und-depression

wieder ein jahr

Saturday, den 14. January 2017

verschluckst du
die sonne
weil du angst vor
dem untergang hast

vibriert
mein dirty talk
als handyklingelton
in deiner hosentasche

berühren sich
unsere seelen
weil sie sich schon
so lange kennen

sind wir nicht mehr ganz neu
und doch.

Drahtseilakt am Anfang eines Jahres

Tuesday, den 10. January 2017

lass mich
lass mich nicht
fallen

solange die drahtseile
auf denen ich balanciere
mich nicht erhängen
& meine akte
dir noch imponieren