Höchster Designparcours vom 27. bis 29. November

21. November 2015

Diesen Winter findet der 7. Höchster Designparcours von Fr 27. bis So 29. November 2015 – zeitgleich mit dem Höchster Weihnachtsmarkt – statt. Erstmalig wird bei dieser Ausgabe auch der Höchster Designparcours-Preis vergeben. Aus den teilnehmenden Labels prämiert eine Jury die drei besten angebotenen Produkte.

Zusätzlich lädt ein Gewinnspiel BesucherInnen dazu ein Höchst und die Ausstellungsorte zu entdecken: Wird an allen Ausstellungsstationen jeweils ein Stempel gesammelt, winkt die Chance auf einen 50 Euro-Einkaufsgutschein bei einem der teilnehmenden Labels.

HERVORRAGEND GEEIGNET, UM WEIHNACHTSGESCHENKE ZU KAUFEN!
UNVERMITTELBAR HAT EINEN STAND IN DER BOLONGAROSTRASSE 109.

brotlos, brustlos

31. October 2015

brotlos bin ich /brustlos nicht
leg dich zu mir/das macht sinn
wir beide/so bemerkenswert
& rumgekommen/steuern gemeinsam
auf die altersarmut hin.

kein twitter/ kein facebook/
handies bleiben bitte ausgeschaltet.

letztes viertel

5. October 2015

seit gestern freunden sich
die strassen wieder
mit dem nass an pechschwarz
hängen sie zwischen den alleen
oder schlängeln sich die hügel empor
ach ja, am silvesterabend machen wir
doch immer bleigießen, du hakst deine liste ab
& guckst lange in den timer
unterstreichst dein soll und haben
wie eine gute freundschaft
“in den schaufenstern fangen
sie jetzt schon mit der weihnachstdeko an” sagst du
mutter hat früher immer
reinhard mey gehört:
“wirklich schon wieder ein jahr.”
fand ich damals ziemlich sentimental.

“Freiheit ist kapitalistischer Mainstream”

4. September 2015

Die Mittelschicht schafft sich ab, Bildungsabschlüsse verlieren an Wert, und der Neoliberalismus vereinnahmt selbst diejenigen, die ihn bekämpfen sollten – beste Voraussetzungen, um das ganze Gesellschaftssystem ins Wanken zu bringen, meint die Soziologin Cornelia Koppetsch.

Die einen blühen auf im sonnigen Eigenheim, die anderen bleiben in sozialer Tristesse gefangen: Die Schere zwischen arm und reich wird immer weiter aufgehen, meint die Soziologin Cornelia Koppetsch.

SZ-Magazin: Die Konjunktur in Deutschland ist gut. Es scheint, als ginge trotzdem die Angst vor dem Abstieg um. Stimmt das?
Cornelia Koppetsch: Viele Menschen hier befinden sich in ungesicherten Arbeitsverhältnissen. Sie haben wenig Halt in der Gegenwart und das Gefühl, ihr eigenes Leben nicht planen zu können. Das aber ist die Voraussetzung für ein funktionierendes kapitalistisches System: dass die Beschäftigten ein Minimum an Zukunftssicherheit im Leben haben.

Das hieße, wenn jeder Mensch sich in diesem Zustand befände, wäre der Kapitalismus am Ende?
Theoretisch schon. Wenn größere Bevölkerungskreise die Kontrolle über ihr Leben verlieren, wie dies in Entwicklungsländern der Fall ist, ziehen sie sich oft in gegenwartsbezogene Lebensformen zurück. Sie kümmern sich nicht mehr um die Zukunft, sie bringen sich auch in der Arbeit nicht mehr ein. Es ist eine offene Frage, wie sich dies in Deutschland entwickelt. Hier leben etwa 25 Prozent in gefährdeten Lagen, zehn Prozent in verfestigter Armut. Das ist eine Menge. Da kann man sich schon fragen: Was passiert mit einer Gesellschaft, wenn vielen ihrer Mitglieder eine Existenz im Rahmen der herrschenden Ordnung verwehrt wird?

Könnte sich der Kapitalismus selbst abschaffen?
Bisher sieht es bei uns eher so aus, dass wir in einer durchrationalisierten Gesellschaft leben, aus der wir einige in die Prekarität entlassen. Auch wenn ihre Lebensstrategien nicht mehr greifen, werden die Ausgeschlossenen versuchen, das gewohnte System aufrechtzuerhalten. Aber es wäre interessant, das zu Ende zu denken.

Sie schreiben, dass vor allem die Mittelschicht sich das eigene Grab schaufelt. Wie das?
Der Finanzmarktkapitalismus beinhaltet, dass die Finanzmarktakteure in die Unternehmenspolitik eingreifen – im Sinne einer Maximierung von Gewinn. Das geschieht über den Shareholder-Value: Die Mittelschichtsbürger, die ein bisschen Vermögen haben und dieses, weil sie auf dem Sparbuch nichts mehr bekommen, an der Börse anlegen, sind mit dafür verantwortlich, dass bestimmte Jobs immer prekärer werden: Wenn Unternehmen in wachsendem Maße durch Aktionäre und Fondsgesellschaften kontrolliert werden, orientieren sie sich an kurzfristigen Gewinnmöglichkeiten und versuchen vor allem, die Kosten für Arbeit zu senken. Es ist billiger, Arbeitnehmer befristet zu beschäftigen und beispielsweise Leiharbeiter einzustellen. So trägt jeder Shareholder zur Aushöhlung der Arbeitnehmerschaft bei.

Auch mit kleinen Anteilen an einem kleinem Aktienfonds?
Absolut. Dies zeigt sich nicht nur in Deutschland. Unternehmen in den USA zum Beispiel siedeln sich in amerikanischen Bundesstaaten an, die keine Gewerkschaftsbindung haben, in denen die Rechte der Beschäftigten also nicht so groß sind. Sie argumentieren damit, dass sie ihre Aktionäre verlieren, wenn sie das nicht tun. Die Aktionäre sind Mittelschichtsbürger, ihre Aktien werden von Fondsverwaltern betreut. Und das anlagesuchende Kapital der Mittelschicht ist beträchtlich. Die gehobene Mittelschicht ist heute vermögender als je zuvor – in Deutschland durch den sozialen Aufstieg in der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg. Es gab ja seitdem keine Kriege und Krisen, die noch bis Mitte des 20. Jahr-hunderts immer wieder Vermögen vernichtet hatten. Stattdessen hat eine Akkumulation von Privatvermögen stattgefunden, die weit in die Mittelschicht hineinreicht: Wir haben anlagesuchendes Geldvermögen im Überfluss, wir sind überliquide. Dadurch steigt das Risiko, dass sich Blasen an den Finanzmärkten bilden: Geld hört auf, Kapital zu sein, wenn mit dem angelegten Geld keine Güter oder Dienstleistungen mehr produziert werden.

Sie bemängeln auch, dass wir unsere Bildung entwerten, indem wir uns immer weiter bilden. Wie das?
Wir beobachten, dass viele besorgte Eltern zu immer aufwendigeren Mitteln greifen, um die Zukunft der Kinder zu sichern: Elitekindergärten, Privatschulen, Auslands-aufenthalte. Wenn immer mehr Menschen in immer höhere Bildung investieren, werden herkömmliche Bildungseinrichtungen und Bildungszertifikate entwertet. Es findet ein Überbietungswettbewerb statt: Wir können auf so viele Lehrlinge zurückgreifen, wir nehmen jetzt nur noch die mit Abitur – dann landen Realschulabsolventen in ungelernten Jobs, und die Hauptschüler kriegen gar keinen. Alles rutscht eine Stufe tiefer, weil die Spitze immer exzellenter wird. Oder die Elite-Universitäten: Die Ehrgeizigen zieht es dorthin, die übrigen Universitäten werden zu zweitklassigen Bildungsanstalten herabgestuft. Nur: Die Berufsaussichten für den Einzelnen werden dabei nicht besser. Man muss ständig aufrüsten, hat aber am Ende nichts davon.

Wie könnte man dem Einhalt gebieten?
Das weiß ich nicht. Ich kann es nur feststellen. Wenn man sich auf das Wettbewerbsspiel einlässt, trägt man dazu bei, dass diese Strukturen reproduziert werden. Das Mitspielen enthält eine Mittäterschaft. Dessen muss man sich bewusst sein.

Der französische Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty schreibt in seinem Buch Das Kapital im 21. Jahrhundert: Wenn das Kapital ungehindert wachse, der Ertrag der Arbeit hingegen zu niedrig sei, sei kein sozialer Aufstieg mehr möglich. Sehen Sie das auch so?
Die Schere zwischen Arm und Reich wird weiter aufgehen. Aber das Kapital wird ins Leere greifen, wenn zu wenige profitable Unternehmen gegründet werden. Dies zeigt sich aktuell gerade bei uns in Deutschland. Hier wird sehr viel Geld gehortet und wenig investiert. Ein Kredit ist ja letztlich eine gesellschaftliche Beziehung: Wenn ich – und sei es nur als Mittelstandskapitalist – Geld in Form von Anleihen, Aktien oder Fonds anlege, um eine Rendite zu erzielen, verlasse ich mich darauf, dass es Unternehmen gibt, in denen Personen arbeiten, die eine Wertschöpfung erzeugen und damit einen Profit erzielen. Das wird manchmal vergessen. Wenn Geldanlagen nicht in realwirtschaftliche Produktivitätskreisläufe eingebunden sind und keine Güter oder Dienstleistungen erzeugen, wird das Geld selbst zum Anlageobjekt. Es kommt zu einer Kette von Schuldbriefen, an deren Ende weder Geld noch ein Produkt steht.

Warum investieren Menschen dann?
Die Anleger glauben, ein Naturrecht auf Gewinne zu haben, ohne sich die geringsten Gedanken darüber zu machen, wo die Unternehmen dazu herkommen sollen. Und ohne selbst ein unternehmerisches Risiko zu übernehmen. Das sind die Nachkommen der Bessergestellten, die Erben, die von unten nicht mehr eingeholt werden können. Der heutige Finanzmarktkapitalismus hat Eigentum und unternehmerische Tätigkeit entkoppelt. Das hohe Lied der unternehmerischen Tugenden predigt man lieber den einfachen Arbeitnehmern: Sie sollen zu Arbeitskraftunternehmern werden, Ich-AGs gründen und eigenverantwortlich handeln. Doch die Rechnung geht nicht auf: Ein wachsender Teil der Armen, vor allem derer mit geringer Qualifikation, hegt auch subjektiv kaum mehr Aufstiegsambitionen. Die haben sich längst ausgeklinkt.

Piketty ist für eine Reichensteuer. Was denken Sie?
Die globale Reichensteuer wäre die einzige Möglichkeit, eine Umverteilung in Gang zu setzen, um einen demokratischen Kapitalismus zu installieren. Es kann nicht sein, dass unsere Gesellschaft immer schneller rotiert, nur um die Ansprüche von Eigentümern zu befriedigen, während die Rechte von Arbeitnehmern immer weiter beschnitten werden. Solange das nur eine Nation versucht, ist klar, dass das Kapital abwandert – in Steueroasen und in Länder, in denen Arbeitnehmer weniger Rechte haben. Ich habe das neulich mal in der Friedrich-Ebert-Stiftung vorgeschlagen: Wenn wir politisch eingreifen wollten, müssten wir diejenigen besteuern, die in unserer Klassengesellschaft der Vermögensbesitzer besonders mächtige Akteure sind. Die haben sich kaputtgelacht. Offenbar ist es realpolitisch eine naive Idee. Aber es wäre eine Möglichkeit, sich das mal anzugucken. Studien dazu in Auftrag zu geben. Es geschieht nichts.

Wie nah stehen sich Sozial- und Wirtschaftswissenschaften?
Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler denken völlig unterschiedlich. Viele Wirtschaftswissenschaftler behaupten: Die Marktkräfte regulieren sich selbst, da muss keine Gesellschaft eingreifen. Die Soziologen hingegen argumentieren: Ohne Rückbindung an eine gesellschaftliche Ordnung kann kein Kapitalismus existieren. Eine völlige Entfesselung der Marktkräfte – das zeigt in der jüngsten Vergangenheit ja auch der Zusammenbruch der Finanzmärkte – ließe das System implodieren. Vermutlich allerdings nicht, ohne vorher auch die Umwelt zerstört zu haben, denn das immer weitere Wachstum der Ökonomie wird die Umweltressourcen aufbrauchen. Und es ist ebenfalls verheerend, die sozialen Ungleichheiten zu groß werden zu lassen, weil das die gesellschaftliche Integration gefährdet und die Zivilgesellschaft dann nicht mehr funktioniert.

Wie sieht das dann aus?
Besucher aus Russland oder anderen BRICS- Staaten, also den aufstrebenden Volkswirtschaften, zu denen noch Brasilien, Indien, China und Südafrika zählen, wundern sich, überspitzt gesagt, dass wir hier ohne Pistole ins Schwimmbad gehen können. Dass es eine funktionierende Zivilgesellschaft gibt, in der öffentliche Räume nicht durch Gewalt bedroht werden und siche-res Leben auch außerhalb der Gated Communitys möglich ist. Dass wir relativ hohe Konsumstandards und ein hohes Niveau bürgerschaftlichen Engagements haben. Diese Zivilgesellschaft ist gefährdet, wenn Ungleichheiten weiter zunehmen.

Die Ungleichheiten waren vor den Neunzigerjahren kleiner. Warum?
Die Nachkriegszeit war die goldene Phase des demokratischen Kapitalismus, weil der Sozialstaat expandierte und dank steigender Löhne die gesamte Bevölkerung zu kaufkräftigen Konsumenten wurde. Auch die Arbeiter. Facharbeiter wurden verbürgerlicht, sie verloren ihre proletarische Kultur. Standardisierte Konsumgüter wurden in Massen produziert. Und weil es – im Vergleich zu heute – weniger Export gab, musste man den Arbeitnehmer gut entlohnen, damit er den Kühlschrank, die Stereoanlage und später den Mercedes kaufte. Wir hatten keine Reservearmee.

Was ist die Reservearmee?
Personen, die wirtschaftlich eigentlich überflüssig sind, die nicht mehr richtig eingebunden sind. In ökonomischer Hinsicht gehören sie zu den Verlierern in einer Gesellschaft. Man hat diese Leute aber in petto, weil man sie vielleicht irgendwann braucht. Früher, nach der Feudal-gesellschaft, im Frühkapitalismus, war das die ehemalige Landbevölkerung, die auf der Suche nach Arbeit in die Städte gewandert war, dort proletarisiert wurde und das Existenzminimum erwirtschaftete – wenn überhaupt. Heute sind es Leiharbeiter und Saisonarbeiter, die nur beschäftigt werden, wenn man sie benötigt.

Und in Deutschland braucht man den Konsumenten nicht mehr?
Wenn man eine Exportnation ist, so wie wir, findet man überall auf der Welt Absatzmärkte. Vor allem unsere Autos finden in China, den USA und vielen anderen Län-dern reißenden Absatz. Deutschland gilt als Exportweltmeister. Der starke Inlandskonsument ist dann nicht mehr wichtig.

Was für Folgen hat das?
Man braucht die Arbeitnehmer im eigenen Land immer weniger. Es kommt zu einem globalen Unterbietungswettbewerb bei den Löhnen. Unternehmen lagern ihre Produktionsstätten in Länder aus, in denen die Arbeiter weniger Rechte und soziale Sicherungen haben. In Deutschland hingegen fangen manche Arbeitnehmer verständlicherweise an, sich zu überlegen: Bevor ich mich in ausbeuterischen Jobs kaputtmache, gehe ich lieber auf Hartz IV – das ist nicht viel, aber ich habe auch keinen Schaden. Sie verlassen die Reservearmee. Und die Unternehmen versuchen in anderen Ländern ihr Glück. Global existieren die Reservearmeen von unterbezahlten Arbeitnehmern noch, aber wie lange?

Bleibt der Facharbeiter Teil der Mittelschicht? Wie setzt die sich heute zusammen, jenseits der überliquiden Erben?
Die Matrix sozialer Distinktion hat sich durch den Neoliberalismus ja sehr verändert: durch den Niedergang des Ostblocks, den Verlust einer alternativen Gesellschaftsordnung und die Globalisierung. Die Mittelschicht schimpft nicht mehr auf die Eliten, sondern möchte selbst dazugehören und grenzt sich eher nach unten ab. Neue Gruppen sind entstanden – wie die Kreativen in den Kultur- und Medienberufen. Die Kreativen wollen nicht spießig sein, machen sich lustig über die Gartenzwerge ihrer Eltern, sind aber selber kleinbürgerlich. Sie verdienen keineswegs besser als ihre Eltern, es geht ihnen eher schlechter. Und doch ist es genau diese Gruppe, die sich als erste in das neoliberale Projekt hat einbinden lassen.

Wie meinen Sie das?
Die Kreativen fühlen sich frei. Doch sie zahlen dafür einen hohen Preis: wenig zu verdienen und in unsicheren Verhältnissen zu arbeiten. Der Hype der Kreativberufe schafft auf Seiten der Arbeitgeber neue Möglichkeiten: Die Unternehmen geben unattraktive Jobs nun als »kreativ« aus, weil man sie, versehen mit dem Selbstverwirklichungsbonus, besser an den Mann oder die Frau bringen kann – und mit weniger Sicherheiten und Gehältern ausstatten muss. In der Werbebranche kann man das gut sehen: Den Gebrauchsgrafiker, der ursprünglich ein Handwerker war, tituliert man als Kreativen – und bezahlt ihn schlechter. Man flacht die Hierarchien ab, reduziert die Personalkosten und dünnt aus.

Würde es helfen, wenn die Mittelschicht sich solidarisieren würde?
Die Mittelschicht war nie eine richtige Solidargemeinschaft. Dazu war sie immer schon zu breit und vielfältig. Sie hat sich nie organisiert wie die Arbeiterklasse – außer vielleicht die Achtundsechziger, die kamen aus der Mittelschicht. Nein, da trifft eher die Künstlerideologie mit dem Neoliberalismus zusammen.

Inwiefern?
Die Künstler sagen: Jeder ist anders und hat sein individuelles Feld. Dadurch verbaut man sich die Möglichkeit, kollektiv gegen schlechte Arbeitsbedingungen oder Unterbezahlung vorzugehen. Künstler und Kreative sind selten in Gewerkschaften oder wirksamen Berufsverbänden organisiert. Das Gegenstück zu den kreativen Berufen stellen die Professionen dar: Professionsverbände wie der Ärzteverband oder der Verband der Hochschullehrer sind gut darin, für ihre Mitglieder gute Arbeitsbedingungen und Honorare oder Gehälter durchzusetzen. Die Kreativen haben das scheinbar nicht nötig.

Was folgt daraus?
Es gibt bei den Kreativen Gewinner und Verlierer. In Städten wie Berlin sieht man das: Einigen gelingt bis Mitte dreißig der Absprung in eine gesicherte Existenz. Die anderen werden mit zunehmenden Alter Schwierigkeiten bekommen.

Sie haben mal einen Text über zwei Frauen in dieser Lebensphase geschrieben, die lange an die Botschaft der autonomen Lebensführung geglaubt haben. Trotz guter Ausbildung schaffen sie in den 1990er-Jahren den Sprung in »gesicherte Lebensumstände« nicht.
Sie fühlen sich ausgestoßen und verachtet von ihrem eigenen Milieu, weil sie ja vermeintlich auch noch selbst schuld sind an ihrem Scheitern. Wobei natürlich keiner zugäbe, dass jemand ausgegrenzt wird, weil er den Sprung auf die andere Seite nicht mehr geschafft hat.

Woran liegt es, dass viele den Sprung nicht mehr schaffen?
In der Welt der Hochschulen konnte man früher lange auf dem Ticket fahren: ab und zu mal eine Wissenschaftliche-Mitarbeit-Stelle, dann zwei Jahre arbeitslos. Es gab viele Alternativen zu einer gesicherten Beschäftigung, an den Unis oder durch ABM-Maßnahmen oder durch die Arbeit im sozialen Bereich. Dann wurden viele dieser Beschäftigungsnischen geschlossen, es stellte sich die Frage: Wie sieht der Rest meines Arbeitslebens aus? Kriege ich später überhaupt Rente? Einerseits zollen die Leute aus dieser Generation immer noch der autarken Lebensführung Respekt. Andererseits sind sie ungnädig mit denen, die auf keinen grünen Zweig kommen.

Sind die Kreativen also jetzt treue Diener des Neoliberalismus?
Ich glaube ja. Und das ist der Trick an der Sache. Das haben die französischen Sozialwissenschaftler Luc Boltanski und Ève Chiapello in ihrem Werk Der neue Geist des Kapitalismus herausgearbeitet: Die einst gegenkulturell formulierten Ideale wie Autonomie, Emanzipation, Eigenverantwortung, Freiheit, Kreativität sind vom kapitalistischen Mainstream vereinnahmt worden. Sie enthalten kein Widerstandspotenzial mehr. So erkläre ich mir auch die Wiederkehr der Konformität, den Neokonservatismus: als Abwehr von neoliberalen Freiheitszumutungen. Kreativ zu sein und eigenverantwortlich zu handeln ist heute nicht mehr subversiv, sondern gehört zu den von Arbeitgebern geforderten Tugenden. Diese Attribute sind auf die Seite des Kapitalismus gewandert. Deshalb sagen gerade jüngere Menschen jetzt: Wir möchten nicht mehr frei sein, wir möchten Tradition. Sicherheit. Etwas, was bleibt. Gesetze und Verbote. Das, was heute knapp und kostbar erscheint, ist nicht mehr die Freiheit, sondern die Bindung. Sicherheit. Manchmal führt dies zu regelrechten Abwehrreaktionen: Alles, was die Achtundsechziger-Generation als Werte eingeführt hat – sexuelle Toleranz, Vielfalt, Befreiung –, wird verteufelt. Nicht nur bei den Rechten, auch in der sogenannten Mehrheitsklasse, im Mainstream der Bevölkerung.

Führt das zu einer unpolitischen Haltung?
Im Generationenvergleich schon. Meinungsumfragen wie zum Beispiel die Shell-Jugendstudie zeigen, dass sich die jüngere Generation oft ins Private zurückzieht. Sie konzentrieren sich darauf, persönlich weiterzukommen, und setzen sich dadurch weniger mit Politik auseinander.

Welche Generation meinen Sie?
Generation Maybe. Die Generation der nach 1975 Geborenen. Sie sind die erste Generation, die mit den Folgen der Globalisierung aufwächst und unter sehr viel schlechteren Bedingungen in das Erwerbsleben einsteigt als ihre Eltern. Dennoch wollen die jungen Leute ihre Probleme nicht im gesellschaftlichen Rahmen deuten. Es liegt an einem selber, ob man die richtige Entscheidung trifft. Das heißt nicht, dass man sich nicht für Wirtschaft interessiert, aber man verknüpft das eigene Leben nicht damit. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass sich die jüngeren Generationen gern von den älteren distanzieren. Die Babyboomer sind mit Ostermärschen, Feminismus und AKW-Bewegung aufgewachsen. Die nachfolgende Generation misstraut diesen Ideologien zutiefst. Und manchmal vielleicht auch zu Recht. Denn das, was den Achtundsechzigern vorgeschwebt hat, tritt den Jüngeren jetzt als geronnene Herrschaftsstruktur gegenüber. Linke Haltungen werden heute häufig von denen gepredigt, die auf den gesellschaftlichen Logenplätzen sitzen. Zum Beispiel von den Achtundsechzigern, die sich in guten Positionen befinden und die Jungen schlecht bezahlen. Weil sie überhaupt keine Lust haben, ihre Privilegien mit den Jüngeren zu teilen oder an Ausgegrenzte abzugeben. Das erzeugt Misstrauen.

Sie schreiben: Vielleicht gelingt es einer nachfolgenden Generation, die Mittelstandslogik zu überwinden. Welche Generation wäre das?
Es könnte sein, dass die Kinder der Jüngeren, der heute so Angepassten, sich politisieren. Die Generation, die jetzt in den Startlöchern steht, ist nicht mehr zu politisieren. In Zeiten wie diesen gibt es zu wenige Haltepunkte, um sich zu formieren. Der Umbruch ist ja da und wirklich beängstigend. Wenn die Gesellschaftsordnung, die jetzt im Entstehen begriffen ist, sich etabliert, wenn man sieht, wie die Kräfteverhältnisse sind, kann man sich wieder kritisch positionieren.

Mein Sohn ist 21 und will Ökologe werden. Ein Professor sagt, die Hälfte seiner Studenten seien Vegetarier. Das ist doch politisch.
Ein bisschen schon. Was fehlt, ist eine konkrete Alternative zur heutigen Gesellschaftsordnung. Wobei man auch sagen könnte: Diese Generation ist pragmatisch. Wenn sie sich politisch betätigt, dann nur, wenn sie einen unmittelbaren Erfolg sieht. Die Jüngeren wagen keine Utopie, keinen wirklichen Gegenentwurf. In Grabenkämpfe und Statuskämpfe klinken sie sich nicht ein. Aber das wäre Politik.

https://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/43404/Freiheit-ist-kapitalistischer-Mainstream

hitze

10. August 2015

schweiss
schweiss
schweiss

eis.

rock: massgeschneidert, japanischer schnitt!

8. July 2015

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alle photos: andreas gärtner

massgeschneiderter rock mit eingearbeitetem paspel und passendem futter
kostenpunkt: 100 euro plus stoff

Provinzlesung 2015** Kalte Buche// Rhön

21. June 2015

Provinzlesung 2015 * Kalte Buche / Rhön
3.7. -5.7. 2015 * Lesungen * Filme * Musik
ca. 10km von Ostheim/Rhön zwischen den Ortschaften Weisbach und Ginolfs, Anfahrt zum Berghaus Jungviehweide, an der Kalten Buche

Lesungen am 3.7.2015 ab 19 Uhr & 4.7.2015 ab 13 Uhr * bei schönem Wetter am 5.7.2015 ab 11.30 Uhr
Musik am 4.7.2015

Literatur:
Tone Avenstroup
Paulus Böhmer
Udo Breger
Ann Cotten
Michael Emmert
Christian Filips
Dirk Fröhlich
Egon Günther
Florian Günther
Michael Halfbrodt
Markus Hallinger
Andreas Hansen
Helmut Höge
Katja Horn
Adrian Kasnitz
Theo Köppen
Cornelia Köster
Benedikt M. Kramer
Signe Mähler
William Cody Maher
Julia Mantel
Florian Neuner
Andreas Niedermann
Harry Oberländer
Maria Ostermann
Bert Papenfuß
Kai Pohl
Eckhard Rhode
Robsie Richter
Monika Rinck
Sabina Rösch
Will Staple
Ulf Stolterfoht
Johannes Ullmaier
Marion von Zieglauer

Photo / Collage:
Michael Kellner
Fatzo Seuberling

Musik:
Hugo Velarde
TOTES KAPITAL, sequenz 14

hans guck in die luft

16. June 2015

guck ich dir etwas ab
guck ich dir auf den hintern
guck ich löcher in die luft

rocknroll-grätsche

15. June 2015

immer toller werden
die menschen, komm
giess das glas noch
einmal ein und stoss auf
den 1-euro-job an

ein paar leute erlauben
sich meinungen
& fliegen durch die
nacht und um die welt

der rest
würde alles für
ein unbezahltes
praktikum tun.

Die Erfolgsgesellschaft und die Erfolglosigkeit////Scheitern am Scheitern

31. May 2015

Am Rand der Erfolgsgesellschaft – wenn die Handlungsmöglichkeiten gegen null gehen und das Leben nur noch aus Folgen von Folgen von Folgen besteht.

Aus den Geisteswissenschaften stammt die Einsicht, dass sich die Bedeutung eines Begriffs nicht aus diesem selbst erschliesst, sondern erst aus dem Verhältnis, das ein Begriff zu anderen hat. Dies trifft auch auf das «Scheitern» zu, das sich grundlegend aus der Unterscheidung erklärt, die Scheitern gegenüber seinem Gegenteil bezeichnet. Die Negativität des Scheiterns, die uns dazu veranlasst, Scheitern zu vermeiden, tritt erst dadurch hervor, dass ihm als Gegenpol der Erfolg gegenübersteht, der im Unterschied zum bedrohlichen Scheitern gewöhnlich von allen angestrebt wird.

Scheitern setzt Handeln voraus, und Handeln strebt nach Erfolg. Erfolg und Scheitern sind daher fest miteinander verbunden. Nur wo gehandelt wurde, kann man auch scheitern, an eigenen Zielen oder Ansprüchen, an widrigen Umständen, am Widerstand anderer Akteure und schliesslich auch an sich selbst. Je nachdem, worin jemand seine Ziele verfehlt, sprechen wir von Misserfolg oder Misslingen, wenn ein Scheitern sich hinsichtlich einer Sache vollzieht; von Niederlagen, wenn das Scheitern den negativen Ausgang eines Wettstreits betrifft; von Versagen, wenn ein Scheitern als selbstverschuldet charakterisiert werden soll.

Wie ein Schiff zerbirst

Gleichwohl hebt sich Scheitern vom einfachen Misslingen gravierend ab. «Scheitern» entstammt der nautischen Welt und geht auf das «Zerscheitern» eines Schiffes zurück, das an einem Felsen zerbirst und in einzelne Holzscheite zerfällt. Das auf diese Weise «gescheiterte» Schiff löst sich in seine Bestandteile auf und ist unwiederbringlich verloren. – Im Unterschied zu blossen Misserfolgen, die demnächst wieder korrigiert werden könnten, steht beim Scheitern infrage, ob es überhaupt weitergeht, nachdem das Schiff des Lebens auf Grund gelaufen ist. Lebenspraktisch nimmt die Dramatik des Scheiterns dabei zumeist unterschiedliche Intensitätsgrade an. Wer bestimmte Handlungsziele verfehlt, wird mit einzelnen Fehlschlägen konfrontiert. Die geplante Karriere dahin, die Ehe zerrüttet, das Eigenheim unter dem Hammer. Scheitern heisst dann, dass in bestimmten Sinnbereichen des Lebens die Handlungsmöglichkeiten enden.

Doch solange überhaupt noch gehandelt werden kann, bleibt Scheitern nur auf einzelne Lebensinhalte bezogen und häufig auch zeitlich begrenzt. Anders jedoch, wenn ein Scheitern das Ende aller Handlungsmöglichkeiten bezeichnet und man in eine Lebenslage gerät, die keine Anschlüsse mehr kennt und jedes Handeln unmöglich macht. Dies geschieht typischerweise, wenn mehrere Fehlschläge zusammenkommen und zu einem persönlichen Niedergang und einer Lebenskrise führen, aus der man alleine und vielleicht selbst mit Hilfe anderer nicht mehr herausfinden kann.

Dieses absolute Scheitern, das nicht limitiert ist durch Kontinuitäten in anderen Lebensbereichen, löst nicht nur alle Handlungspläne in nichts auf, sondern lässt auch die Person des Scheiternden selbst grössten Schaden nehmen. Wer so scheitert, wird in jeder Hinsicht auf null gesetzt. In der Sachdimension des Handelns fehlen alle Mittel und Ressourcen, um noch irgendein eigenes Ziel in Angriff nehmen zu können. In der Zeitdimension ist dem Scheiternden der Handlungshorizont abhandengekommen – alles wird kontingent. In der Sozialdimension führt es zu einer zunehmenden Isolation, und in der Sinndimension des Handelns tritt ein persönlicher Bedeutungsverlust ein, da nichts im eigenen Leben noch die Wertigkeit hat, die ihm einst zugemessen wurde.

Handlungsunfähigkeit, fehlende Anschlüsse und Sinnverlust sind die wichtigsten Merkmale des Scheiterns, wenn es als absoluter Endpunkt eintritt. Es stellt die ganze Identität einer Person infrage und am Ende nicht selten die Person selbst, die psychisch und physisch zunehmend verfällt. Derartiges Scheitern scheint uns eine existenzielle Erfahrung zu sein, die verschiedenste Kulturkreise und geschichtliche Zeiten umfasst. Doch bedarf es gewisser historischer Voraussetzungen, um Scheitern wie heute als Zusammenbruch einer Biografie zu empfinden.

Vor dem Anbruch der Moderne wurde Scheitern kaum als persönliches Versagen oder als Misslingen individueller Handlungspläne begriffen. Die Geschicke des Lebens schienen dem kollektiven Bewusstsein nicht verfügbar zu sein. Wem durch Stand, Glaube oder Geschlecht der Platz im Leben unabänderlich zugewiesen wurde, der vermochte keine Ambitionen zu entwickeln, an denen er oder sie scheitern konnte. Erst in der Moderne entwerfen sich Erwartungen und Pläne in eine noch unbekannte Zukunft hinein, die durch eigenes Tun handelnd erreicht werden soll. Und erst durch diese Öffnung in das Unbekannte entsteht die Gefahr, durch Verfehlen seiner Ziele sich selbst zur Enttäuschung zu werden.

Wettbewerbe und Bilanzen

Auch erlebt niemand sein Scheitern als ein überzeitliches Phänomen oder so, als ob sich die anthropologische Konstante des Misslingens rein zufällig die eigene Person ausgesucht hätte. Anlässe, Folgen und Bewertungen des Scheiterns sind stets von konkreten Umständen geprägt, die keine Universalien sind. Auch der Gegenpol des Scheiterns – das erfolgreiche Handeln, schlichtweg: der Erfolg – ist keine Kategorie von zeitlos gleicher Gültigkeit. In der modernen Gesellschaft hat Erfolg eine allgemeine Kulturbedeutung angenommen, als eine Art Pflicht, will man mit gesellschaftlicher Anerkennung rechnen. Kaum je ist es so alltäglich geworden, sich beruflich oder privat gegenseitig Erfolgsbilanzen zu präsentieren, um die Wertigkeit des eigenen Selbst zu betonen und den persönlichen Vorrang zu unterstreichen.

Doch Erfolg und Scheitern bedingen einander und steigern sich gegenseitig. Je süchtiger eine Gesellschaft nach dem Erfolg greift, umso mehr Konkurrenten wetteifern um ihn, was in der Folge eine zunehmende Anzahl von Akteuren leer ausgehen lässt. Je grossartiger Erfolge aufzutrumpfen versuchen und je bedeutsamer sie für den gesellschaftlichen Status sind, umso deprimierender der Misserfolg, mit dem sich ein persönliches Scheitern ankündigen kann.

Die entscheidende Ursache hierfür liegt in der Herausbildung einer modernen Wettbewerbsgesellschaft. Einander im Modus des Wettbewerbs zu begegnen und andere wie sich selbst im Hinblick auf die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu bewerten, ist mittlerweile zu einer alltäglichen Praxis geworden. Die zeitlichen Abstände, in denen sich Personen beruflichen Wettbewerben ausgesetzt sehen, haben sich erheblich verkürzt. Wer beim erfolgreichen Eintritt in eine berufliche Position bisher eine gewisse Sicherheit erlangt hatte, sieht sich heute nach kurzer Zeit wieder zur Disposition gestellt. Im Wettbewerb erreichte Positionen werden viel seltener dauerhaft, sondern müssen immer wieder aufs Neue erkämpft werden. Im Arbeitsleben schlägt sich der zunehmende Wettbewerbsdruck in engmaschigen Leistungs- und Erfolgskontrollen nieder, die den Einzelnen dem Gefühl ständiger Bewährungsproben aussetzen und damit auch der anhaltenden Gefahr des Scheiterns.

Wettbewerbe sind Ausscheidungskämpfe und daher notwendigerweise damit verbunden, dass sie Verlierer produzieren. Besonders zahlreiche Verlierer werden erzeugt, wenn die Gewinne allein denjenigen zufallen, die sich am erfolgreichsten durchsetzen konnten, während viele vollkommen leer ausgehen. Märkte, auf denen die Gewinner alles bekommen, werden von einer Konkurrenz beherrscht, die geradezu eine grosse Zahl von Verlierern erzwingt. Weil in der heutigen Gesellschaft mehr und mehr allein Marktregeln regieren, werden auch Sozialschichten den Risiken von Wettbewerben ausgesetzt, die sich früher noch vergleichsweise sicher fühlen konnten. Dies ist der Grund für die stetig wachsende Zahl jener, die vom Scheitern bedroht sind oder zumindest fürchten müssen zu scheitern, wenn sie die Bewährungsproben der Märkte nicht sicher bestehen.

Der Fluchtpunkt aller Wettbewerbe ist der Erfolg, das heisst das Sichdurchsetzen gegenüber Konkurrenten, wodurch sich gesellschaftliche Vorteile einstellen sollen. Zur ostentativen Sichtbarkeit von Erfolgen tragen ungewollt die Erfolglosen bei, weil nur im Vergleich mit den Gescheiterten Erfolg eine besonders starke Unterscheidung ausdrückt und triumphale Züge annehmen kann. Nicht verwunderlich ist, dass in einer solchen Kultur des Erfolgs das Scheitern zum Stigma wird und zu einer seelischen Last. Scheitern fällt auf das eigene Selbst zurück, für das in der Wettbewerbsgesellschaft das Prinzip der Eigenverantwortung gilt. Dadurch verbindet sich Scheitern mit dem Gefühl individuellen Versagens und der Scham darüber, nicht gut genug gewesen zu sein, sich überschätzt zu haben, persönliche Defizite aufzuweisen.

Drei Varianten

Die moderne Pflicht zum Erfolg holt daher am Ende noch ihren Gegenpart ein, und so kandidiert heute das Scheitern selber dafür, erfolgreich bewältigt zu werden. Unter den drei Varianten des Scheiterns, die wir gegenwärtig beobachten können, ist mithin jene die auffälligste, die sich als die heroische Version des Scheiterns bezeichnen lässt. Ihre Losung lautet «Scheitern als Chance» oder – wie jüngst ein Coaching-Seminar in Frankfurt ankündigte – «Scheitern als Kraft auf dem Weg zu Wachstum, Aufbruch und Erneuerung».

In seiner heroischen Variante gilt Scheitern «als Voraussetzung für künftige Erfolge», wie dies im Wirtschaftsmagazin «Brand eins» hiess, das dem Scheitern unlängst ein ganzes Heft gewidmet hat. Scheitern, so kann man hier lesen, sei ein «unverzichtbares Momentum für den Erfolg» und wichtiges Element einer «Gründer-Kultur», weil Wagnis und Risiko zur DNA der Marktwirtschaft gehörten. Auch dürfe Scheitern kein Makel sein, weshalb wir eine «Kultur des Scheiterns» brauchten. Damit ist in der Regel allein das unternehmerische Risiko gemeint, das durch die heutigen Insolvenzregeln und betriebliche Rechtsformen vergleichsweise abgesichert ist.

Scheitern nimmt sich hier als Leistungsnachweis aus, als kathartische Etappe auf dem Weg zum Erfolg. Und wenn es am Ende trotzdem nicht klappen sollte, steht das verwandte Sinnmuster des tragischen Scheiterns bereit, das schicksalsträchtig vorgibt, an einer Aufgabe verzweifelt zu sein, die niemand bewältigen könne, und sei es nur eine falsche Regierung. Der Vorsitzende der deutschen FDP, Christian Lindner, hat in einem solchen Format vor einigen Monaten seine sogenannte Wutrede im Düsseldorfer Landtag gehalten, in der er sich zum unternehmerischen Scheitern bekannte. Seine 2001 pleitegegangene Internetfirma hatte 1,4 Millionen Euro von der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau an Förderkrediten erhalten, für deren Verlust freilich der Steuerzahler einstehen musste – so viel zum unternehmerischen Risiko.

Eine weitere Sinnvariante des Scheiterns stellt die ironische Weise dar, mit dem eigenen Schiffbruch umzugehen. Hier lautet die Losung «schöner scheitern», womit die persönliche Erfolglosigkeit zur Lebenskunst weiterentwickelt werden soll. Verstärkt durch eine kulturelle Strömung, die die Kunst des Verlierens entdeckt, nimmt der notorische Pechvogel so etwas wie einen Kultstatus ein. Dessen cineastische Ikone im zeitgenössischen deutschen Film ist etwa der Ostberliner «Wendeverlierer» Jaeckie Zucker, den Dani Levy 2004 in seiner Komödie «Alles auf Zucker!» in Szene gesetzt hat. Eine Kultstätte des ironischen Scheiterns ist bis heute der «Club der polnischen Versager», der in der Berliner Ackerstrasse beheimatet ist.

Der ironische Entwurf des Scheiterns entlastet die eigene Person dadurch von Vorwürfen, dass die Ursache von Fehlschlägen in der Kontingenz des Lebens selbst gesucht wird, die nicht nur jeden treffen kann, sondern auch Abenteuer verspricht. Indem das «schöner scheitern» das gesellschaftliche Erfolgsprogramm gleichsam als eine umgekehrte Sinnvariante zelebriert, legt es aber andererseits Zeugnis davon ab, wie stark es an die Pflicht zum Erfolg doch selber gebunden ist.

«Folgen von Folgen von Folgen»

Die dritte Variante des Scheiterns schliesslich ist jene, von der in der deutschen Gegenwartsliteratur etwa Thomas Melles Roman «3000 Euro» erzählt. Er hat den Absturz eines verschuldeten Ex-Jurastudenten zum Thema, der schliesslich in der Obdachlosigkeit landet. Merkmal dieses profanen Scheiterns ist es, gerade keine Losung vor sich hertragen zu können, ja häufig kaum erzählbar zu sein – es sei denn in einem eindringlichen Roman. In «3000 Euro» berichtet der Protagonist: «Es gibt keine Ereignisse mehr, es gibt nur noch Folgen in meinem Leben, und Folgen von Folgen von Folgen, die das Leben ins Unerträgliche verzinsen.» Was hier zum Ausdruck gebracht wird, ist Scheitern als vollkommenes Fehlen von Anschlussfähigkeit; das frühere Leben findet keine Fortsetzung mehr, weil es von den «Folgen von Folgen von Folgen» restlos aufgezehrt wurde.

In krassem Gegensatz zum Versuch, Scheitern als Innovationsmotor der Wettbewerbsgesellschaft darzustellen und in einen Wertbeweis der Leistungsgesellschaft umzudeuten, ist hier ein absoluter Nullpunkt völliger Handlungsunfähigkeit erreicht. Eine solche Erfahrung eignet sich weder für Heroismus noch für Ironie. Da solches Scheitern zudem häufig schleichend einsetzt, vergleichsweise banale Vorfälle plötzlich bedrohliche Konsequenzen nach sich ziehen, kleine Fehler grosse Auswirkungen haben, gibt das banale Scheitern keinen Stoff für erbauliche oder unterhaltsame Geschichten ab. Gerade die Trivialität der Umstände des Scheiterns lässt den Scheiternden häufig ratlos bei der Frage nach den Ursachen zurück, die ihn am Ende immer nur wieder mit sich selbst und dem eigenen Versagen konfrontiert.

Inmitten einer Kultur des Erfolgs, die noch das Gegenteil des Erfolgs für sich zu verwerten versucht, nimmt der profane, alltägliche, sensationslose Niedergang die paradoxe Gestalt einer erfolglosen Form des Scheiterns an, eines Scheiterns am Scheitern, für das es kaum eine Erzählung, kaum eine Öffentlichkeit, kaum eine Entschuldigung und kaum eine Nachsicht gibt.

Prof. Dr. Sighard Neckel lehrt Soziologie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main und ist Mitglied des Kollegiums des Instituts für Sozialforschung. Jüngste Buchpublikation, zusammen mit Greta Wagner: «Leistung und Erschöpfung. Burnout in der Leistungsgesellschaft» (Suhrkamp 2013).

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